Literatur, Senf und Tennis
„Der stehende Fluss“: Dieter Sperl spielt sich mit Alltag, Zen und dessen Überschreitung.
Splitter, Fragmente, Schollen. Ultrakurze Zeilen, kompakte Blöcke, selten ein Textfluss, der sich über mehrere Seiten erstreckt. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde das Innenleben in Dieter Sperls neuestem Buch nur durch seine Autorenschaft und durch das besondere Layout – eine Abfolge von Weißraum, verdichtetem Text und schwarz-weißen, rätselhaft anmutenden Bildern – zusammengehalten.
Der Eindruck des Fraktalen verliert sich jedoch bei den ersten Einträgen des in Wien wohnhaften Autors, sie sind mit „Neigungen“, „Zuwendung“, „Flash“oder „Fortsetzung“übertitelt: Darin, aber vor allem durch deren Zusammenschau wird erzählt, reflektiert und ein reizvolles Panorama aus Alltagsszenen und Lebensepisoden konstruiert, in dem sich der Leser wiederfindet. Das entwickelt einen ganz eigenen, betörenden Flow.
Das Banale und das Bedeutende kommen gleichrangig zu stehen, auch das ist Zen, mit dem sich der Sprachkünstler schon lange beschäftigt: Über Literatur, Musik und Filmtableaus ist wie über Senf, Sonnenbrillen und Ribiselmarmelade sprechen, Tennis oder Online-Games wie mit Sprache und Bildern spielen. In Rom Termini einsteigen wie aussteigen in Wien Südbahnhof – und dann nicht wissen, wie es weitergeht, wo es doch weitergeht, irgendwie. Zwischen solchen Teilen finden sich Introspektionen, überschrieben mit einem reflektierenden „Ich“.
Fährten und Treibgut
Als Leser ist man sich nicht sicher, wer jetzt eigentlich spricht. Da hilft Sperl mit Feststellungen nach: „Was hören Sie“oder „Was sehen Sie“. Doch auch solche Textminiaturen fliegen nicht isoliert durch das Universum des experimentellen Autors und Herausgebers der „Flugschrift“: Vieles darin ist doch irgendwie vernetzt, ironisch oder subtil verbunden. In großen Bögen nehmen die auch stilistisch so diversen Texte den Faden immer wieder auf, wenngleich es oft nur ganz dünne Fäden sind: Ein Musikstück, versickert im kollektiven Gedächtnis der Endsiebziger, taucht wieder auf. Dann wieder sind es Getränke, Requisiten, so schlicht wie ein Gartenschlauch, die sich durch neue Zusammenhänge aufladen.
„Der stehende Fluss“fließt und steht dort weiter, wo Dieter Sperl dem Leser mit seinem beeindruckenden Vorgängerbuch einen „nice trip“gewünscht hat. Sie stehen im Kontext der „Flugschriften“(„im Grenzbereich zwischen Literatur, Kunst und Theorie, die Selbstreflexion im Kontext einer sich ständig verändernden hypertrophen Sprach-Wirklichkeit als Notwendigkeit erachtet“). Die Methodik ist weitergedacht, geöffnet für ungewöhnliche Einflüsterungen, für Fundstücke des Alltags und das Treibgut eines erzählten Lebens.
Biografische Spuren zeigen sich mehr oder weniger unverhüllt, da kehrt das Erzählen etwa wieder an einen magischen Ort in Kärnten zurück. Und da öffnet sich das „Tagebuch eines Vierzehnjährigen“aus 1980, irrelevant, ob als falsche oder richtige Fährte ausgelegt: Diese Einträge gehören weniger in die Empfindungswelt eines Jugendlichen denn jene eines Erwachsenen, der sich mit dem Medium Sprache in einer Versiertheit spielt, die nur jenen zu eigen ist, die tief in die Dinge hineinhorchen, genau hinschauen und vieles wieder ziehen lassen können. In Radio-Kunststücken stellte Sperl dies immer wieder einmal unter Beweis.
Dieter Sperl stellt sein Buch am 29. Oktober um 19 Uhr in der Wiener Alten Schmiede, Schönlaterngasse 9, vor.