Die ewige Wiederkehr des Gleichen
Burgtheater. Kann man die unendlichen alten Geschichten aus Island auf die Bühne bringen? Thorleifur Örn Arnarsson hat es nun auch in Wien ausprobiert. Daraus wurde ein bunter Hund. Manches ist ein Hammer. Manches aber gar nicht.
Kann man die unendlichen alten Geschichten aus Island auf die Bühne bringen? Thorleifur Örn Arnarsson hat es nun auch in Wien ausprobiert.
Wenn der böse Wolf die Sonne verschlingt, wenn die Nornen am Urdbrunnen die Weltesche begießen, damit Ygdrasil nicht verdorrt, weiß der kundige Leser (oder besser noch Hörer): Das ist die Zauberwelt germanischer Mythen. Solch steinalte Geschichten, fern vom Osten her tradiert, wurden schließlich vor allem in Island aufgezeichnet, von Snorri Sturluson, der vor 800 Jahren die Prosa-Edda verfasste. Es gibt zudem die Ältere Edda mit Götterund Heldenliedern, ein Sammelsurium, das Werden und Vergehen fassen will und die Zeit dazwischen – irre Familien-Aufstellungen, endlose Kämpfe und Raubzüge, die man gemeinhin mit dem Begriff Wikinger verbindet. Das Interessante an diesen Sagas ist, dass alle – ob Götter, Zwerge, Riesen oder Menschen – sterben werden. Das Bedrohliche an ihnen ist, dass sie alle wiederkommen können. Denn die Natur wird in solchen Kulturkreisen zyklisch gedacht.
Kann man diese unendlichen Geschichten auch auf die Bühne bringen? Ja, dachten sich der Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und sein Ko-Autor Mikael Torfason. Sie suchten sich spektakuläre Szenen aus. Torfason wob noch die Beziehung zum toten Vater mit ein. Ihr Risiko hat sich gelohnt: Im Schauspiel Hannover wurde „Die Edda“2018 uraufgeführt. Die vierstündige Inszenierung erhielt einen Preis: „Der Faust“. Im Burgtheater setzte dessen neuer Direktor Martin Kusejˇ die weiterentwickelte, faktisch neu inszenierte Produktion aufs Programm. Am Samstag hatte diese Wiener Fassung Premiere, etwas gestrafft, auf drei Stunden und fünfzehn Minuten. Der Aufwand ist gewaltig: ein Riesen-Ensemble, technische Kunststücke aller Art. Doch stellt sich auch hier die Frage: Lohnt sich das? Nur bedingt.
Durchaus pathetische Schnulzen
Natürlich funktioniert die Technik des Burgtheaters perfekt, mit viel Trockeneis, einem bald wie schwerelos im Zentrum schwebenden Riesen-Baumstamm und faszinierenden Lichtspielen. Wolfgang Menardi hat ein atemberaubendes, eklektisches Bühnenbild geschaffen. Das Ensemble ist gewohnt stark, mit hervorragenden, gelenkigen Wortkünstlern. Wer wird nicht Dorothee Hartinger als Völva, Riesin, Embla oder Frigg loben, Markus Hering als Odin, Ask oder Mikael und Andrea Wenzl als Urd oder Freyja, wenn sie sich mühelos von Göttern in andere Monster und Menschen verwandeln? (Karen Briems fantastische Kostüme helfen dabei.) Wer wird nicht das Komödiantische bewundern, das Florian Teichtmeister als wendiger Halbgott-Riese Loki im silbernen Glitzeranzug oder Dietmar König, Mavie Hörbiger und Jan Bülow in diversen Rollen offerieren? Doch das lenkt ab davon, dass sich die Regie auch etwas übernommen hat, zuweilen geradezu gescheitert ist. Da setzt dann bei all dem tollen Stoff gar Fadesse ein.
Vor der Pause wirkt die Inszenierung wie eine Mischung aus präzisem Vortrag, perfekter Choreografie, herzhaftem Märchenspiel, spektakulärer Revue, braven Witzen und schmalziger Musik (Leitung: Gabriel Cazes). Nach der Pause aber gerät das Drama außer Form: Den bewährten, noch immer spannenden Mythen wird die rührselige, vielleicht sogar wahre Geschichte Torfasons über dessen Vater beigepackt. Der Mann entwickelte sich vom Protestanten zum Zeugen Jehovas und schließlich zum Anhänger altnordischen Glaubens, ehe er an den Folgen seiner Alkoholkrankheit starb. Diese peinlich privaten Szenen bleiben Fremdkörper. Als Bonus-Track gibt es im Finale zudem etwas Achtsamkeit für die Rettung der Welt, ehe die Götterdämmerung einsetzt. Die Musik bleibt schmalzig. Pathetische Schnulzen. Wie gesagt: Bedrohlich an diesen heidnischen Sagas ist die ewige Wiederkehr des Gleichen. Es gibt hier kein Entkommen. Nicht einmal der Ur-Riese Ymir, aus dem die Welt entstand, ist davor gefeit.
Die Kapitolinische Wölfin rollt vorbei
Einiges aber ist an dem langen Abend auch gelungen. Wenn Elma Stefan´ıa A´gu´stsdo´ttir Weissagungen im Original rezitiert, wenn die Völuspa´ wogt, Nebel tief ins Parkett wabert und simultan raunende Passagen auf Deutsch zu hören sind, schafft das eine zauberhafte Atmosphäre. Der Vorhang hebt sich. Man glaubt, Feuer und Eis Islands vor sich zu haben und schemenhaft dazwischen schwankende Gestalten. Es liegt Schnee, die Esche ist bereits gefällt und wird bald wieder schweben, von ihr klettert Odin herab, das Wirken beginnt. Umgeben ist der Stamm von einem Baugerüst und Versatzstücken – die Kapitolinische Wölfin, ausgestopfte Tiere, ein fernöstlicher Baldachin, eine Wagenladung abgeschlagener Köpfe. Es scheint, als ob die Nordmänner Beute von internationalen Raubzügen aufgehäuft hätten.
Hübsch anzusehen sind Stacyian Jackson als Fenriswolf und Marta Kizyma als Midgardschlange, sie tragen Kostüme wie für einen Kindergeburtstag. Marie-Luise Stockinger ist als Thor ein Hammer. Der Kampf mit Riesen gerät zur reinen Spaßmacherei. Typisch für die Inszenierung ist eine Szene mit sieben beinhart verhandelnden Zwergen. Ihre Stimmen sind höchst verzerrt. Das war fast so lustig, als hätte der deutsche Komiker Otto das Drehbuch geschrieben.