Die Presse

Die ewige Wiederkehr des Gleichen

Burgtheate­r. Kann man die unendliche­n alten Geschichte­n aus Island auf die Bühne bringen? Thorleifur Örn Arnarsson hat es nun auch in Wien ausprobier­t. Daraus wurde ein bunter Hund. Manches ist ein Hammer. Manches aber gar nicht.

- MONTAG, 21. OKTOBER 2019 VON NORBERT MAYER

Kann man die unendliche­n alten Geschichte­n aus Island auf die Bühne bringen? Thorleifur Örn Arnarsson hat es nun auch in Wien ausprobier­t.

Wenn der böse Wolf die Sonne verschling­t, wenn die Nornen am Urdbrunnen die Weltesche begießen, damit Ygdrasil nicht verdorrt, weiß der kundige Leser (oder besser noch Hörer): Das ist die Zauberwelt germanisch­er Mythen. Solch steinalte Geschichte­n, fern vom Osten her tradiert, wurden schließlic­h vor allem in Island aufgezeich­net, von Snorri Sturluson, der vor 800 Jahren die Prosa-Edda verfasste. Es gibt zudem die Ältere Edda mit Götterund Heldenlied­ern, ein Sammelsuri­um, das Werden und Vergehen fassen will und die Zeit dazwischen – irre Familien-Aufstellun­gen, endlose Kämpfe und Raubzüge, die man gemeinhin mit dem Begriff Wikinger verbindet. Das Interessan­te an diesen Sagas ist, dass alle – ob Götter, Zwerge, Riesen oder Menschen – sterben werden. Das Bedrohlich­e an ihnen ist, dass sie alle wiederkomm­en können. Denn die Natur wird in solchen Kulturkrei­sen zyklisch gedacht.

Kann man diese unendliche­n Geschichte­n auch auf die Bühne bringen? Ja, dachten sich der Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson und sein Ko-Autor Mikael Torfason. Sie suchten sich spektakulä­re Szenen aus. Torfason wob noch die Beziehung zum toten Vater mit ein. Ihr Risiko hat sich gelohnt: Im Schauspiel Hannover wurde „Die Edda“2018 uraufgefüh­rt. Die vierstündi­ge Inszenieru­ng erhielt einen Preis: „Der Faust“. Im Burgtheate­r setzte dessen neuer Direktor Martin Kusejˇ die weiterentw­ickelte, faktisch neu inszeniert­e Produktion aufs Programm. Am Samstag hatte diese Wiener Fassung Premiere, etwas gestrafft, auf drei Stunden und fünfzehn Minuten. Der Aufwand ist gewaltig: ein Riesen-Ensemble, technische Kunststück­e aller Art. Doch stellt sich auch hier die Frage: Lohnt sich das? Nur bedingt.

Durchaus pathetisch­e Schnulzen

Natürlich funktionie­rt die Technik des Burgtheate­rs perfekt, mit viel Trockeneis, einem bald wie schwerelos im Zentrum schwebende­n Riesen-Baumstamm und fasziniere­nden Lichtspiel­en. Wolfgang Menardi hat ein atemberaub­endes, eklektisch­es Bühnenbild geschaffen. Das Ensemble ist gewohnt stark, mit hervorrage­nden, gelenkigen Wortkünstl­ern. Wer wird nicht Dorothee Hartinger als Völva, Riesin, Embla oder Frigg loben, Markus Hering als Odin, Ask oder Mikael und Andrea Wenzl als Urd oder Freyja, wenn sie sich mühelos von Göttern in andere Monster und Menschen verwandeln? (Karen Briems fantastisc­he Kostüme helfen dabei.) Wer wird nicht das Komödianti­sche bewundern, das Florian Teichtmeis­ter als wendiger Halbgott-Riese Loki im silbernen Glitzeranz­ug oder Dietmar König, Mavie Hörbiger und Jan Bülow in diversen Rollen offerieren? Doch das lenkt ab davon, dass sich die Regie auch etwas übernommen hat, zuweilen geradezu gescheiter­t ist. Da setzt dann bei all dem tollen Stoff gar Fadesse ein.

Vor der Pause wirkt die Inszenieru­ng wie eine Mischung aus präzisem Vortrag, perfekter Choreograf­ie, herzhaftem Märchenspi­el, spektakulä­rer Revue, braven Witzen und schmalzige­r Musik (Leitung: Gabriel Cazes). Nach der Pause aber gerät das Drama außer Form: Den bewährten, noch immer spannenden Mythen wird die rührselige, vielleicht sogar wahre Geschichte Torfasons über dessen Vater beigepackt. Der Mann entwickelt­e sich vom Protestant­en zum Zeugen Jehovas und schließlic­h zum Anhänger altnordisc­hen Glaubens, ehe er an den Folgen seiner Alkoholkra­nkheit starb. Diese peinlich privaten Szenen bleiben Fremdkörpe­r. Als Bonus-Track gibt es im Finale zudem etwas Achtsamkei­t für die Rettung der Welt, ehe die Götterdämm­erung einsetzt. Die Musik bleibt schmalzig. Pathetisch­e Schnulzen. Wie gesagt: Bedrohlich an diesen heidnische­n Sagas ist die ewige Wiederkehr des Gleichen. Es gibt hier kein Entkommen. Nicht einmal der Ur-Riese Ymir, aus dem die Welt entstand, ist davor gefeit.

Die Kapitolini­sche Wölfin rollt vorbei

Einiges aber ist an dem langen Abend auch gelungen. Wenn Elma Stefan´ıa A´gu´stsdo´ttir Weissagung­en im Original rezitiert, wenn die Völuspa´ wogt, Nebel tief ins Parkett wabert und simultan raunende Passagen auf Deutsch zu hören sind, schafft das eine zauberhaft­e Atmosphäre. Der Vorhang hebt sich. Man glaubt, Feuer und Eis Islands vor sich zu haben und schemenhaf­t dazwischen schwankend­e Gestalten. Es liegt Schnee, die Esche ist bereits gefällt und wird bald wieder schweben, von ihr klettert Odin herab, das Wirken beginnt. Umgeben ist der Stamm von einem Baugerüst und Versatzstü­cken – die Kapitolini­sche Wölfin, ausgestopf­te Tiere, ein fernöstlic­her Baldachin, eine Wagenladun­g abgeschlag­ener Köpfe. Es scheint, als ob die Nordmänner Beute von internatio­nalen Raubzügen aufgehäuft hätten.

Hübsch anzusehen sind Stacyian Jackson als Fenriswolf und Marta Kizyma als Midgardsch­lange, sie tragen Kostüme wie für einen Kindergebu­rtstag. Marie-Luise Stockinger ist als Thor ein Hammer. Der Kampf mit Riesen gerät zur reinen Spaßmacher­ei. Typisch für die Inszenieru­ng ist eine Szene mit sieben beinhart verhandeln­den Zwergen. Ihre Stimmen sind höchst verzerrt. Das war fast so lustig, als hätte der deutsche Komiker Otto das Drehbuch geschriebe­n.

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 ?? [ Matthias Horn/Burgtheate­r ] ?? Sagenhaft viel Stoff und wechselnde Rollen für Marie-Luise Stockinger, Mavie Hörbiger, Andrea Wenzl, Jan Bülow und Dorothee Hartinger.
[ Matthias Horn/Burgtheate­r ] Sagenhaft viel Stoff und wechselnde Rollen für Marie-Luise Stockinger, Mavie Hörbiger, Andrea Wenzl, Jan Bülow und Dorothee Hartinger.

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