Historischer Durchbruch für Grüne
Schweiz. Laut Hochrechnung legten die Grünen bei der Parlamentswahl stärker zu als erwartet, trotz Verlusten bleibt die rechtskonservative SVP stärkste Partei.
Laut Hochrechnung bleibt die rechtspopulistische SVP stärkste Kraft. Die Grünen überholen die mitregierende CVP und bringen sich für Regierung in Stellung.
Auch die Schweiz erlebt jetzt ihren politischen „Greta“-Moment: Bei der Parlamentswahl am Sonntag gelang den beiden grünen Parteien ein historischer Durchbruch. Sie wurden laut ersten Hochrechnungen zum ersten Mal viertstärkste Kraft und könnten nun in die Regierung kommen. Stärkste Partei bleibt aber trotz Verlusten die konservative Schweizer Volkspartei (SVP).
Laut einer Hochrechnung des Schweizer Fernsehens erreichte die SVP 26,3 Prozent, 3,1 Prozent weniger als bei der letzten Wahl 2015. Die Grünen rückten mit 12,7 Prozent (plus 5,6 Punkte) sogar auf den vierten Platz vor. Sie überholten knapp die mitregierende Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), die auf zwölf Prozent (plus 0,4 Prozent) kam. Erstmals seit Jahrzehnten wurde damit eine der vier Regierungsparteien von der Opposition überholt.
Neben der Volkspartei verzeichneten aber auch zwei andere Regierungsparteien Einbußen. Die Sozialdemokraten verloren um 2,4 Punkte und kamen auf 16,5 Prozent, die liberalen Freiheitlichen (FDP) um 1,2 Punkte, sie kamen auf 15,2 Prozent.
Der Erfolg der Grünen ist aber auch aus einem anderen Grund historisch: Bei Schweizer Parlamentswahlen sind große Verschiebungen selten, die Regierungszusammensetzung ist seit sechzig Jahren praktisch unverändert. SVP, SP, FDP und CVP teilen sich die sieben Sitze im Bundesrat (Regierung). Diese „Zauberformel“dürfte nun vielleicht umgeschrieben werden müssen: Spannend wird es im Dezember bei der Regierungsbildung. Der Wechsel in der Zusammensetzung des Bundesrates, den Wahlforscher letzte Woche noch für ein rein theoretisches Szenario gehalten haben, könnte angesichts des Erfolges der Ökoparteien Realität werden. Angesichts des Ergebnisses wird nun der Druck auf die politische Mitte wachsen, dass einer der Sitze im Bundesrat an Grün geht, zumal die beiden Grünparteien gemeinsam rund 20 Prozent erreichen und damit das zweitgrößte Lager im Nationalrat hinter der SVP sind.
Die „Klimawelle“hatte in den letzten Wochen und Monaten auch die Schweiz erfasst, nicht zuletzt wegen der Aktivitäten der schwedischen Klimakämpferin Greta Thunberg. Bis auf die SVP leistete es sich denn auch keine Partei, die Klimadebatte auszusparen. Die Grünen punkteten vor allem bei jungen Wählern, die bei den „Fridays for Future“-Protesten aktiv waren. Aber auch Wechselwähler wählten diesmal Grün.
Die SVP hingegen blieb dank ihrer Stammwähler stärkste Partei, sie blieben der Partei treu. Allerdings konnte sie diesmal nicht mit dem Thema Sicherheit und Migration punkten und neue Wähler dazugewinnen. Deutliche Verluste verzeichneten auch die Sozialdemokraten. In der Wirtschaftsmetropole Zürich etwa, wo Rot-Grün seit jeher etabliert ist, verloren die Sozialdemokraten Stimmen an die Grünliberalen.
Überraschenderweise zeigten erste Hochrechnungen, dass die CVP nicht abstürzte, im Gegenteil: Die Christdemokraten konnten sogar leicht dazugewinnen. Sie erhielten wohl Stimmen aus der bürgerlichen Mitte, die einen Linksrutsch auf Regierungsebene befürchtet hatte. Die FDP hingegen wurden wegen interner Streitereien abgestraft.
Erfolg des Frauenstreiks
Auffallend war das landesweit gute Abschneiden von Frauen, sodass der Politikwissenschafter Lukas Golder im Schweizer Fernsehen sogar von einer „Frauenwahl“sprach. In Obwalden und Zug gab es diesbezüglich sogar Einträge für die Geschichtsbücher: Die beiden Alpenkantone werden erstmals seit der Einführung des Frauenstimmrechts in den 1970er Jahren von einer Frau im Nationalrat vertreten sein. Der Kanton Uri wählte zum ersten Mal eine Frau in den Ständerat. Beobachter verwiesen diesbezüglich auf die Bewusstseinsbildung durch den Frauenstreik, bei dem im Juni Hunderttausende Schweizerinnen für mehr Gleichberechtigung auf die Straße gegangen waren
Der Frauenanteil dürfte steigen. Das hier ist jetzt schon eine Frauenwahl. Lukas Golder, Politologe