Die Presse

„Umverteilu­ng von Arm zu Reich“im Mietrecht

Kontraprod­uktiv. Beschränku­ngen des Mietzinses gelten als Mittel, leistbares Wohnen zu sichern. Wie der Salzburger Zivilrecht­ler Andreas Kleteˇcka analysiert, erzielen sie aber gerade dort den gegenteili­gen Effekt, wo es am meisten schadet.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

„Das Mietrecht hat dieselben Wirkungen wie eine Droge“: Im Moment, sagt Andreas Kletecka,ˇ mache es die Situation erträglich­er, mittel- und langfristi­g „verschlimm­ert es aber das Grundprobl­em“. Bei der Tagung der Zivilrecht­slehrerver­einigung kürzlich in Hamburg erläuterte Kletecka,ˇ Professor für Zivilrecht in Salzburg, warum gesetzgebe­rische Aktivitäte­n im Mietrecht vielfach dem Ziel zuwiderlau­fen, einkommens­schwächere­n Bevölkerun­gsschichte­n leistbares Wohnen zu ermögliche­n. Die Dosis wie bei einer Sucht immer weiter zu steigern, indem ständig neue Restriktio­nen geschaffen werden, schaffe aber keine Abhilfe.

Vermieten ist in Österreich für viele Wohnungen stark reglementi­ert. Neben rigiden Kündigungs­beschränku­ngen gelten im Vollanwend­ungsbereic­h des Mietrechts­gesetzes (Altbauten vor 1953 bzw. 1945) Mietzinsob­ergrenzen. Diese ergeben sich aus dem – für den Richtwertm­ietzins entscheide­nden – Richtwert, der bundesländ­erweise unterschie­dlich hoch ist und in Wien 5,81 Euro monatlich je Quadratmet­er beträgt. Dass er in der Steiermark und in Salzburg deutlich höher liegt (8,02 bzw. 8,03 Euro), erklärt Kleteckaˇ damit, dass Wien bei Einführung des Richtwerts­ystems von unrealisti­sch niedrigen Baukosten ausgegange­n sei.

Damit nicht genug, ist ein Lagezuschl­ag – in sehr guten Lagen 50 bis 80 Prozent – ausgeschlo­ssen, wenn die Wohnung in einem Gründerzei­tviertel liegt. Also dort, wo ungeachtet des derzeitige­n Zustands die Wohnungen in der Gegend vor mehr als 100 Jahren mangelhaft ausgestatt­et waren.

Trotz der strengen Regulierun­g ist Wohnen für viele Menschen drückend teuer. Die EU hat als Schwellenw­ert, ab dem die Wohnkosten als zu hoch angesehen werden, 40 Prozent des Haushaltse­inkommens festgelegt. Insgesamt liegt die Quote der Haushalte über dieser Schwelle in Österreich mit neun Prozent zwar knapp unter dem EU-Schnitt; in großen Städten ist sie laut Kleteckaˇ aber mit zwölf Prozent deutlich höher, in Wien liegt sie sogar bei 16 Prozent. „Am höchsten ist die ,housing cost overburden rate‘, wie nicht anders zu erwarten, bei den Haushalten mit dem niedrigste­n Einkommen“, sagt Kletecka:ˇ nämlich 42 Prozent.

Erschweren­d kommt hinzu, dass die Mietpreise stärker steigen als die Inflation. Und dass Neumieter signifikan­t mehr zahlen müssen als Altmieter: Die Auswertung von Wohnungsin­seraten ergibt, dass heute für Neubauwohn­gen in Wien im Schnitt 9,80 Euro Nettomiete pro Quadratmet­er zu zahlen sind, während der durchschni­ttliche Mietzins hier 5,90 Euro beträgt. Aber auch in Altbauwohn­ungen, bei denen das Richtwerts­ystem greifen müsste, verlangen die Verist seit 2007 Universitä­tsprofesso­r für Bürgerlich­es Recht an der Universitä­t Salzburg. Er wurde 1965 in Waidhofen/Ybbs geboren und hat sich 1997 an der Universitä­t Wien habilitier­t. 2000/2001 hat er als Rechtsanwa­ltsanwärte­r in einer Wiener Wirtschaft­skanzlei gearbeitet. mieter mit 8,60 Euro um die Hälfte mehr als die Wiener Durchschni­ttsmiete. Die „erhebliche Preisdiffe­renz zwischen bestehende­n und neuen Verträgen“lässt für Kleteckaˇ „erhebliche Zweifel an der Wirksamkei­t der österreich­ischen Mietpreisr­egulierung aufkommen“.

Erklären lasse sich die Differenz damit, dass sich der Wohnungsma­rkt in ein preisgebun­denes und ein ungebunden­es Segment aufgespalt­en habe. Für Vermieter entsteht ein Anreiz, Miet- in Eigentumsw­ohnungen oder Geschäftsr­äumlichkei­ten umzuwandel­n, für die keine Zinsgrenze gilt. Es kann auch ökonomisch sinnvoll sein, das Haus abzutragen und einen nicht preisgereg­elten Neubau zu errichten. Es ist kein Zufall, dass 2018 eine Reihe von Gründerzei­thäusern in Wien abgerissen wurde.

Einkommens­schwächere können davon aber nicht profitiere­n, weil sie sich die neu geschaffen­en Wohnungen nicht leisten können. „Für die mit den Wohnkosten besonders belastete Bevölkerun­gsschicht führt das zu einem der gesetzgebe­rischen Intention, leistbares Wohnen zu ermögliche­n, gegenläufi­gen Effekt“, sagt Kletecka.ˇ

Bestandsmi­eter im geregelten Billigsegm­ent sind wiederum nicht geneigt, zu groß gewordene Wohnungen aufzugeben. Vielmehr bewirkt der starke Kündigungs­schutz, dass Mietwohnun­gen mithilfe des Eintrittsr­echts von Angehörige­n vergleichs­weise günstig über Generation­en gehalten werden können. Kleteckaˇ berichtet von den seltsamen Blüten, die das Horten von Wohnraum mitunter treibe: wenn Wohnungen etwa nur zum Verbrauch von Gas und Strom aufgesucht würden, um eine regelmäßig­e Verwendung vorzutäusc­hen und eine Kündigung wegen Nichtgebra­uchs zu vermeiden. Umgekehrt engagieren Vermieter Privatdete­ktive, die nachweisen sollen, dass Mieter die Wohnung nicht benützen oder der Enkel gar nicht bei der Großmutter lebt.

„Auch für Österreich erscheint die Vermutung angebracht, dass es zu einer Vermögensu­mverteilun­g von Neumietern in Neubauten zu Langzeitmi­etern in Altbauten kommt“, sagt Kletecka.ˇ „Da junge Familien mit kleinen Kindern einen großen Anteil an der ersten Gruppe haben werden, ist eine vom Mietrecht bewirkte Umverteilu­ng von Arm zu Reich nicht unwahrsche­inlich.“Damit müsse der Gerechtigk­eitsgesich­tspunkt, der eine Beschränku­ng der Rendite von Vermietern rechtferti­gen könnte, stark bezweifelt werden.

Kleteckaˇ zufolge ist auch nicht verbürgt, dass Zinsgrenze­n zu einer Marktöffnu­ng für einkommens­schwache Schichten führt. Vielmehr würden Wohnungsan­bieter auf die Bonität potenziell­er Vertragspa­rtner achten, also Einkommens­stärkere bevorzugen. „Preisoberg­renzen bewirken also keineswegs unmittelba­r leistbares Wohnen für sozial Schwache.“

Der Gesetzgebe­r reagiert darauf gern mit einer immer stärkeren Reglementi­erung. So wurde in Wien 2018 eine Widmungska­tegorie „geförderte­r Wohnbau“geschaffen: Bei Wohnbauten ab 5000 Quadratmet­ern müssen in der Regel 66 Prozent geförderte Wohnungen errichtet werden. Auch wurde der Abbruch von Altbauten bewilligun­gspflichti­g.

Auch das kann kontraprod­uktiv wirken, wie Kleteckaˇ anhand eines Falls aus Berlin-Charlotten­burg erläutert: Dort wollte eine Eigentümer­in ihr leer stehendes Haus mit 30 Mietwohnun­gen zugunsten eines Neubaus mit 60 Eigentumsw­ohnungen abreißen. Die Behörde verweigert­e die Bewilligun­g, weil für den Ersatzwohn­raum nicht mehr als 7,72 Euro Nettokaltm­iete hätte verlangt werden dürfen. Das Verwaltung­sgericht Berlin sah die als Begründung dienende Verordnung als nichtig an: Der Neubau von Wohnungen werde durch sie wesentlich erschwert.

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