Das filmische Echo des Mauerfalls
Streamingtipps. Wie die Öffnung der Berliner Mauer vor 30 Jahren (nach-)wirkt, hängt von der Perspektive ab – auch im Film. Fünf Empfehlungen zum Wendejubiläum, von der versöhnlichen Komödie bis zur unverblümten Doku.
Um die Jahrhundertwende nahm ein neues Leinwand-Genre Fahrt in deutschen Kinos auf: der „Ostalgie“-Film. Seine Erzählungen riefen die Lebensrealitäten der DDR auf eine Weise in Erinnerung, die weitgehend unbeschwert war vom Furor politischer Abrechnung – was der Gattung oft den Vorwurf der Schönfärberei einbrachte. Berechtigt war dieser so gut wie nie: Der emotionale Drall der meisten Ostalgie-Filme zielte in Richtung Westen, viele strebten nach einer Aussöhnung der gespaltenen deutschen Identität. Im Erfolgsbeispiel des Genres, Wolfgang Beckers Tragikomödie „Good Bye Lenin!“, zieht sich der Konflikt entlang der Generationen. Eine überzeugte Sozialistin (Katrin Sass) sieht, wie ihr Sohn (Daniel Brühl) bei einer Demo von der Volkspolizei verhaftet wird – und fällt ins Koma. Als sie erwacht, ist die Mauer weg. Um seiner Mutter das Trauma des Systemwechsels zu ersparen, zieht der junge Mann alle Register und inszeniert mit Großaufwand das Fortbestehen des Altbekannten – einschließlich der Produktion von Fake News über den sozialistischen Ursprung von Coca-Cola. Letztlich plädiert der Film für eine differenzierte Gedächtniskultur, die ostdeutsche Geschichte weder verteufelt noch verklärt.
Leander Haußmann, Sohn des ostdeutschen Schauspielers Ezard Haußmann, brachte mit seinem Kinoregiedebüt „Sonnenallee“die Ostalgie-Welle ins Rollen. Später ließ er in „NVA“seine DDR-Wehrpflicht komödiantisch Revue passieren. Dazwischen entstand sein wahrscheinlich bekanntester Film, eine Adaption von Sven Regeners Romanhit „Herr Lehmann“. Der Titelheld (charmant verkörpert von Christian Ulmen) wurstelt sich in Berlin-Kreuzberg durchs Leben, umgeben von einer illustren Bagage chronischer Kneipengänger. Weil er bald 30 wird, branden hin und wieder Zukunftsängste auf. Und wieder ab. Nichts, was ein Bier nicht reparieren könnte. Ach ja, die Mauer, die fällt hier natürlich auch. Nebenbei.
Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin-Brandenburg läuft derzeit eine interessante Reihe, die sich auf der Homepage des Senders gratis sichten lässt: „DEFA 89“. Gezeigt werden fünf Dokumentarfilme, die kurz vor der Wende unter der Ägide des DDR-Studios entstanden – und bereits deutlich vom Geist des nahenden Wandels beseelt sind. Darunter: „Komm in den Garten“, das Porträt einer Männerfreundschaft als Spiegel realsozialistischer Gesellschaftswidersprüche. „Liebe Nina . . .“über den staatlichen Umgang mit friedlichen Demonstranten. „Sperrmüll“über die Lebenswelten rebellischer Teenager. Und Thomas Heises facettenreiche Umbruchstimmungsskizze „Imbiss-Spezial“. Aufschlussreich!
Schon kurz nach ihrer Errichtung erwies sich die Berliner Mauer als perfektes Kinosinnbild des Kalten Krieges. Mit ihren abweisenden Betonfassaden, bissigen Stacheldrahtzäunen und bedrohlichen Grenztürmen brachte sie die unversöhnliche Frontstellung der Supermächte prägnant auf den Punkt. Viele Agentenstreifen nutzten sie als bildgewaltiges SuspenseSymbol; am wirksamsten womöglich die knochentrockene Verfilmung von John le Carres´ Spionageklassiker „The Spy Who Came in from the Cold“. Die Überwindung des Steinernen Vorhangs gerät hier im Hochspannungsfinale zum Moment der Entscheidung – und zur bitteren Erkenntnis, dass Dritte im Ränkespiel der Geheimdienste immer Verlierer sind.
Thomas Heise ist einer der spannendsten Filmemacher, die die ausgehende DDR hervorgebracht hat. Schon seine ersten Dokus eckten mit ihrer Unverblümtheit an – und landeten im Giftschrank der DDR. Bezeichnend der Titel seines Debüts, der einen damaligen Dozenten der Filmuniversität Babelsberg zitiert: „Wozu denn über diese Leute einen Film?“Nach der Maueröffnung stellten diese Frage andere: Die Offenheit, mit der Heises „STAU – Jetzt geht’s los“rechtsradikalen Jugendlichen aus Halle-Neustadt begegnet, in Gesprächen ihren Sehnsüchten und Kümmernissen nachspürt, um die Wurzeln ihres Extremismus zu ergründen, stieß das bundesdeutsche Selbstbild vor den Kopf und erntete nicht zuletzt aus linken Kreisen Ablehnung. Ein Heiner-Müller-Zitat zur ostdeutschen Jugend fasst die PostWende-Tristesse von „STAU“vielleicht am besten zusammen: „Nach der Zerstörung einer Infrastruktur, die wesentlich auf ihre Beruhigung ausgerichtet war, übergangslos in die Freiheit des Marktes entlassen, der sie mehrheitlich ausspuckt, weil er nur an Gegenwart und nicht an Zukunft interessiert sein kann, ist sie jetzt auf die Wildbahn verwiesen.“Heises offizieller VimeoKanal führt die Doku zur kostenfreien Sichtung.