Wann wurden kurze Haare europäischer Männer modern?
Jahrhundertelang galt ein Kurzhaarschnitt bei Männern als Symbol für Unterdrückung und Unterwerfung. FORSCHUNGSFRAGE
Haare gelten in der Kulturgeschichte der Menschheit als natürlicher Körperschmuck und dienten nicht nur der Selbstdarstellung, sondern auch immer als Symbol einer inneren Haltung. Langes Haar bei Männern war über lange Zeiträume hinweg Ausdruck von Eigenmacht und Selbstbestimmung.
„Der Geschorene, der noch im heutigen Sprachgebrauch als ,Gscherter‘ zu finden ist, war jemand, der sich unterwerfen musste: sei es freiwillig wie Mönche, die sich eine Tonsur schneiden ließen, sei es unfreiwillig, wie die Leibeigenen im Mittelalter. Es ging dabei aber immer um Machtverlust und Unterordnung“, erläutert die Volkskundlerin Ulli Fuchs.
In der Bibel geht man sogar noch einen Schritt weiter: Als Samson die langen Haare abgeschnitten wurden, verlor er seine Kraft. Manche Psychoanalytiker interpretieren langes Haar als Über-Ich und sehen daher das Haarschneiden als symbolische Kastration. „In der europäischen Antike gab es nur zwei Völker, die kurze Haare zum Statussymbol machten: Griechen und Römer. Für die Römer galt es als Abgrenzung zu den ,unzivilisierten‘ Barbaren, sie wollten damit ihre Kultiviertheit ausdrücken und sich auch äußerlich von ihnen distanzieren“, weiß Fuchs.
Mode imitierte Aristokraten
Das war im europäischen Kulturraum über Jahrhunderte hinweg die große Ausnahme. „Allerdings wäre es verfehlt, in dieser Zeit von ,Mode‘ zu sprechen. Modebewusstsein kam viel später auf, und erst im 17. Jahrhundert begann man, sich an der Aristokratie zu orientieren und sie so gut wie möglich zu imitieren, auch was die Haare betrifft. Dabei kam es oft zu extremen Modeformen, wie etwa dem Perückenkult“, so Ulli Fuchs.
Dem Ganzen ein Ende machte die Französische Revolution, die die Aristokratie mit all ihren Implikationen abschaffen wollte. „Diese Verbürgerlichung betraf das gesamte Outfit der Männer, auch die Haare. Perücken waren komplett out, nicht aber natürliche lange Haare, die nach wie vor als Ausdruck der Ablehnung jeglicher Obrigkeit galten und daher auch von der Boheme getragen wurden“, erläutert die Wissenschaftlerin.
Im späten 19. Jahrhundert setzte dann so etwas wie eine Militarisierung der Gesellschaft ein, die Erziehung der männlichen Kinder wurde zunehmend martialischer, das Militär gab neue Bestimmungen heraus, wonach unter anderem auch die Haare sehr kurz geschnitten werden mussten. Das hatte zwar einerseits hygienische Gründe, andererseits wollte man damit aber „die Menschen auch eintakten“, wie es Fuchs formuliert. Das hatte letztlich Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft. Lange Haare bei Männern galten für die nächsten Jahrzehnte als unmodisch und nicht mehr en vogue. Sie waren kein Symbol der Selbstbestimmung mehr.
Den radikalsten Schnitt setzten aber die Nazis. Für sie waren lange Haare gleichbedeutend mit Widerstand gegen das System. Das setzten sie zum Teil auch drastisch um, indem sie Männer mit zu langen Haaren schoren und in Strafkompanien an die Front schickten. Diese Denkweise hat sich im Prinzip erst in den 1960er-Jahren geändert: mit den subkulturellen Gegenbewegungen der Jugend. „Seit den 1970er-Jahren gibt es nicht mehr nur eine Mode, alles existiert nebeneinander“, so Fuchs.