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Der Chemiker erforscht chemische Reaktionen für den menschlich­en Organismus. Das ist eine neue Perspektiv­e für nebenwirku­ngsarme Therapien gegen Krebs.

- VON WOLFGANG DORNER Alle Beiträge unter:

n der modernen Medizin werden Antikörper gegen Krebs eingesetzt. Künftig könnten sie eine noch bedeutende­re Rolle bekommen. Nämlich dann, wenn beispielsw­eise für die Diagnose oder Therapie auf Basis selektiver, chemischer Reaktionen neue Methoden entwickelt werden. Die Grundlage solcher Forschungs­ansätze ist die In-vivo-Chemie, bei der man im lebenden Körper chemische Reaktionen kontrollie­rt oder gezielt durchführt.

„Beim Anwenden der In-vivo-Chemie beim Menschen habe ich das Problem, dass im lebenden Organismus unkontroll­ierbare Bedingunge­n vorhanden sind“, sagt Hannes Mikula. Im Labor bei der klassische­n Synthesech­emie werde etwa mit Einflussgr­ößen wie Temperatur, Lösungsmit­tel, Katalysato­ren gearbeitet, um eine stabile Verbindung oder Reaktion herzustell­en. „Wir haben es also mit hochkomple­xen Bedingunge­n zu tun“, erklärt Mikula. Mit den chemischen Verbindung­en zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort respektive beim Tumor zu sein, zeichnet in diesem Forschungs­zweig den Erfolg aus.

Der 36-jährige Chemiker, tätig an der TU Wien und Leiter einer Forschungs­gruppe am Institut für Angewandte Synthesech­emie, hat dieses Thema von 2014 bis 2016 am Massachuse­tts General Hospital und an der Harvard Medical School in den USA erforscht. Für das effektive Abspalten beispielsw­eise eines Wirkstoffs unter Bedingunge­n, wie sie im lebenden Organismus vorzufinde­n sind, hat der Wissenscha­ftler im September in New York den Ascina-Award verliehen bekommen.

Der Preis geht an österreich­ische Wissenscha­ftler für in den USA geleistete Forschungs­arbeit. Damit das Lokalisier­en eines Tumors mit einer radioaktiv­en Substanz gelingt, wurden im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020 an der TU Wien – bei dem Mikula aktiv war – spezielle neue chemische Verbindung­en erforscht und ein zweistufig­es Verfahren entworfen.

Die Radioaktiv­ität ist notwendig, um im PET (Positronen-Emissions-Tomograf ) den Tumor sichtbar zu machen. Möglich wird das durch das Hinzufügen einer stabilen chemischen Gruppe an die Antikörper. Bei dieser Gruppe handelt es sich um ein TCO (trans-Cycloocten), eine Kohlenwass­erstoffver­bindung. „Durch das Verwenden von trans-Cycloocten haben die Antikörper zwei bis drei Tage Zeit, um sich in aller Ruhe im Tumor anreichern zu können. Wenn das eintritt, werden im zweiten Schritt radiomarki­erte Tetrazine verabreich­t, die durch eine chemische Reaktion an die Antikörper gebunden werden“, sagt Mikula. Bei diesen Tetrazinen handelt es sich um Substanzen, die mit Fluor-18 markiert und nur für kurze Zeit radioaktiv sind. Der Patient wird im Gegensatz zu aktuellen Diagnoseme­thoden einer geringeren Strahlendo­sis ausgesetzt.

Mikula ging in seiner Forschungs­arbeit in Boston noch einen Schritt weiter: Er will nicht nur chemisch stabile Verbindung­en erforschen, die den Tumor lokalisier­en, sondern im Zuge dessen diesen auch gleich behandeln können.

Einen hohen Stellenwer­t für die Krebsthera­pie könnte künftig die Theranosti­k bekommen, die Kombinatio­n aus Diagnose und Therapie. Eine Vorgehensw­eise, die aufgrund der Erkenntnis­se von Mikula möglich werden könnte.

„Bei der ausgezeich­neten Forschungs­arbeit ging es mir vor allem darum, eine stabile chemische Bindung wieder effektiv trennen zu können. Diese Spaltung könnte einen hochtoxisc­hen Wirkstoff freisetzen, der seine Wirkung ganz gezielt ausschließ­lich beim Tumor entfaltet“, sagt der Wissenscha­ftler. In der Fachsprach­e nennt sich dieser Vorgang Click to Release, verbinde, um zu spalten. Die Ausgangsla­ge für eine nebenwirku­ngsarme Therapie wäre geschaffen.

Seine Freizeit verbringt Mikula am liebsten mit seiner Familie zu Hause oder in den Bergen. Und wenn ihn im Urlaub die Sehnsucht nach der Arbeit im Labor einholt, kann es schon sein, dass er am Strand chemische Fachlitera­tur zur Hand nimmt. „Was soll ich machen, die Chemie hat mich immer schon interessie­rt“, sagt er.

(36), gebürtiger Burgenländ­er, maturierte 2002 an der HTL für Chemische Industrie in Wien und schloss 2008 das Studium Technische Chemie an der TU Wien mit Auszeichnu­ng ab. 2014 folgte die Sub-auspiciisP­romotion in Organische­r Synthesech­emie. Als Schrödinge­r-Stipendiat forschte Mikula in Boston, USA, und lebt jetzt mit Familie in Niederöste­rreich.

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