Ideologisches Massaker in der Josefstadt
Theater. Ulf Stengl hat Ibsens „Rosmersholm“großräumig umgeschrieben. Katharina Klar begeistert als Anarchistin, die zwei Herren überrollt: Sehenswert.
Katharina Klar als Anarchistin in Henrik Ibsens „Rosmersholm“.
Am Ende gibt’s einen Blitz. Kann man sich mit einem Feuerzeug und edlen Spirituosen abfackeln? Oder ist doch ein Benzinkanister vonnöten? Das Josefstädter Publikum kam ins Grübeln bei „Rosmersholm“von Ulf Stengl nach Ibsen. Überschreibungen werden solche Radikalbearbeitungen von Klassikern jetzt genannt, vom Originaltext bleibt nur das Skelett, der Plot, übrig – oder eben: der Stängel.
Auf einem abgeschiedenen Landgut haust ein seltsames Paar: Kulturwissenschaftler Rosmer, aus alter, nobler Familie, und Rebekka West, ein störrisches Punkmädchen. Rosmer und seine Gattin, Beate, haben die Heimatlose als eine Art Hausmädchen einquartiert, das Paar ist kinderlos. Die rabiate Rebekka zieht freilich mit ihrem unbehauenen Intellekt Rosmer in ihren Bann – und sie vernichtet Beate.
Ibsens Original (1886) über einen Pfarrer, der sich fortschrittlichen sozialen Ideen widmet und von einer verzopften Gesellschaft attackiert wird, war 2000 im Akademietheater zu sehen, mit Gert Voss und Angela Winkler. Regie: Peter Zadek. Ein Meisterwerk. Dennoch: Der Text wirkt teilweise antiquiert. Stengl machte aus Rosmer einen Rechten, der gegen Ausländer polemisiert, und aus seinem Gegenspieler Kroll einen Altlinken. Herbert Föttinger spielt Rosmer, Joseph Lorenz den Rektor Kroll. Stengls beste Idee war, die ideologischen Positionen der beiden nicht zu ausführlich und platt darzulegen, sie sind ohnehin klar.
Im ersten Teil des kurzweiligen und dichten Abends besucht Kroll nach Monaten Rosmer auf seinem Landsitz. Die beiden fallen einander weinend in die Arme, Beate ist tot, Rosmers Frau war Krolls Schwester. Doch rasch kommen nach der Verbrüderung die alten Kontroversen hervor. Rosmer lädt Kroll zur Übernachtung ein, Rebekka ist dagegen, sie verbirgt es keineswegs, schmeißt das Bettzeug auf den Boden, weist Krolls onkelhafte Jovialität aggressiv zurück, ebenso wie sein Angebot, einander zu duzen. Sie verschwindet immer wieder in die Küche, bringt steinhartes Brot, aus eigenem Sauerteig, und bietet zum Abendessen Schweinesulz an, die nicht gestockt ist.
Rabiate Popfigur im Bürgerhaus
Die teils skurrilen, teils witzigen Eröffnungsszenen münden bald in ein ideologisches Massaker, bei dem sich alle drei Akteure als Monster entlarven, am wenigsten noch Rosmer, der freilich auch seltsamen Lüsten zu folgen scheint, hat er Rebekka beim Schlafen belauert oder gar auf ihr Laken onaniert?
Und Rektor Kroll, der Gutmensch, der seinen Freund auf den rechten linken Weg zurückführen möchte? Auch seine Folie von Zivilisation ist dünn, einmal nennt er Rebekka einen hübschen Arsch hinter einem Putzeimer. Die meisten Four-Letter-Words hat allerdings Rebekka. Elmar Goerden hat mit der für ihn typischen Präzision diese Uraufführung inszeniert. Der wortreiche, knapp zweistündige Schlagabtausch sitzt perfekt.
Föttinger als Rosmer ist von Beginn des Abends an in der Defensive, eingequetscht zwischen Freund Kroll und seiner jungen Gefährtin, von der er angenommen hat, sie sei so etwas wie seines Geistes Kind. Einst war Föttinger einer der köstlichsten und humorvollsten Sprachwissenschaftler, Professor Henry Higgins in „ My Fair Lady“an der Volksoper (mit Katharina Straßer als Eliza). Hier gibt er ein dunkles Pendant dieser Rolle, sein Geschöpf, Rebekka, an der er partnerschaftlichen Umgang üben wollte, überzieht ihn mit Schmähungen und jagt ihn zurück in seine Bürgerburg, in der er sich mit Beate zwar gelangweilt hat, aber immerhin in Ruhe leben und arbeiten konnte.
Joseph Lorenz, dieser untadelige Theater-Sir, lässt seine aasige Kehrseite sehen, sein Kroll ist ein zähnebleckender Dogmatiker, der mit dem Holzhammer operiert. „Der Joseph ist besser als in Reichenau“, befand ein Besucher. Das will was heißen.
Der Clou aber ist Katharina Klars Rebekka, diese Figur hat auch die meisten Fassetten: Biedermänner und die Brandstifterin, möchte man sagen. Diese Rebekka mit ihrem trotzigen Blick und ihrer rotzigen Sprache passt in die Josefstadt wie die Faust aufs Auge. „Unsympathisch“, fand eine Besucherin. Das ist gerade das Gute an dieser Asylantin im gutbürgerlichen Milieu, geformt im Prekariat als Prostituierte, Dienstmädchen, Pflegerin. Ihre Sehnsucht nach Liebe und Ordnung ist groß. Sie will alles, aber sie hat nicht die Mittel, weder Geld noch Bildung, also explodiert sie in Zerstörungswut.
Ibsen hat seine Kämpfe in tollen Frauenfiguren kristallisiert, Ellida, die „Frau vom Meer“, Hedda Gabler, Nora, Gunhild und Ella in „Borkman“oder Frau Alving („Gespenster“). Diese Rebekka passt in sein Panorama, wenn man es ins Heute transferiert.