Wie Merkel ohne SPD Kanzlerin bleiben könnte
Deutschland. Das neue SPD-Führungsduo windet sich bei der Frage, wie es nun weitergehen soll. Die Zukunft der Großen Koalition ist vorerst offen. Doch selbst wenn die Genossen aussteigen, muss es keine Neuwahlen geben.
Angela Merkel hat sich über die neue Doppelspitze der SPD bisher ausgeschwiegen. Es ist zwar ein offenes Geheimnis, dass sie dem unterlegenen Kandidaten Olaf Scholz, ihrem Vizekanzler, die Daumen gedrückt hatte. Aber gesagt hat sie seit dessen Niederlage öffentlich nichts. Am Montag nun ließ sie über ihren Regierungssprecher verlautbaren, dass sie grundsätzlich zum Gespräch und zur Zusammenarbeit mit der neuen SPDSpitze bereit sei, „wie es in einer Koalition üblich ist“. Aber: „Eine Neuverhandlung des Koalitionsvertrags steht nicht an.“
Wobei die künftigen SPDChefs, die linken Regierungskritiker Norbert Walter-Borjans (67) und Saskia Esken (58), das Wort Neuverhandlungen auch nicht mehr in den Mund nehmen. Das designierte Spitzenduo tauchte am Sonntagabend zum ersten Mal in Überlänge auf den Fernsehschirmen auf. Und sie wanden sich im Talkshow-Studio von Anne Will bei der Frage, wie sie es denn nun mit der Großen Koalition halten. Esken hatte im internen Wahlkampf noch angekündigt, sollte die CDU etwa bei Investitionen oder Klimaschutz nicht nachbessern, würde sie ihrer SPD den „geordneten Rückzug“aus der Koalition empfehlen. Am Sonntag drohte sie nicht. Sie formulierte viel vorsichtiger: „Es muss schon klar sein, dass eine Bereitschaft da sein muss, zu reden.“
Die SPD wird auf einem Parteitag (6. bis 8. Dezember) festlegen, wie sie es mit der Koalition hält. Sollten die Genossen der CDU dort unerfüllbare Forderungen stellen und die Koalition daran zerbrechen, muss das aber nicht das Ende der 14-jährigen Ära Angela Merkels bedeuten.
Im politischen Berlin kursiert schon länger ein Szenario, dass Merkel dann 2020 eine Minderheitsregierung anführen könnte. Das Geld dazu hätte sie. Der wichtigste Beschluss, der Haushalt 2020, ist bereits unter Dach und Fach.
CDU und CSU könnten sich in einem solchen Szenario als letzte regierungswillige Volksparteien in Szene setzen. Und Angela Merkel hätte ihre letzte große Bühne als Kanzlerin, den deutschen EU-Ratsvorsitz in der zweiten Hälfte 2020. Denn auch Diplomaten graut vor der Vorstellung, Berlin könnte sich während dieser Zeit im Wahlkampf oder in Koalitionsverhandlungen befinden.
Das Szenario Minderheitsregierung hat jedoch einen Haken: Die Union müsste sich im Parlament Mehrheiten erst suchen. Die SPD wäre wohl kaum bereit, eine Regierung zu stützen, die man soeben verlassen hätte. An AfD und Linkspartei will die CDU nicht anstreifen. Bleiben noch Grüne und FDP. Wobei die Grünen zu Neuwahlen tendieren würden, um ihre historisch guten Umfragewerte in Mandate umzusetzen. (Derselbe
Grund spricht auch gegen einen fliegenden Wechsel in ein JamaikaBündnis mit FDP und Grünen).
Merkel selbst hält nicht viel von Minderheitsregierungen. Sie präferiert „stabile“Koalitionen. Wobei das derzeit auch nicht der Fall ist. Und die Kanzlerin kann ihre Meinung rasch ändern, wenn es die Umstände erfordern. Eine Trennung von Kanzlerschaft und Parteivorsitz hatte sie zum Beispiel immer abgelehnt. Im Herbst wählte sie dann doch dieses „Wagnis“und trat als CDU-Chefin zurück.
Gegen ihren Willen (und den ihrer Partei) ließe sich Merkel kaum aus dem Amt drängen. Anders als in Österreich kann ein deutschen Kanzler nur über ein konstruktives Misstrauensvotum abgewählt werden, also indem auch gleich ein Nachfolger ins Amt gehievt wird. So war das etwa 1982, als die FDP Koalitionspartner und Kanzler wechselte: Auf Helmut Schmidt (SPD) folgte fliegend Helmut Kohl (CDU) Ein solches Szenario ist freilich derzeit nicht in Sicht.