Die Presse

Große Koalition – nur unter einem anderen Namen?

Rund um die Regierungs­verhandlun­gen herrscht verdächtig­e Stille, in der ÖVP-Wählerscha­ft dominiert große Skepsis.

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Seit sich die FPÖ und SPÖ als mögliche Regierungs­parteien aus dem Spiel genommen haben und die Grünen als der einzige Koalitions­partner für die ÖVP übrig geblieben sind, herrscht in den österreich­ischen Medien geradezu eine Euphorie für eine türkisgrün­e Regierung. Schon bei der bloßen Berichters­tattung bricht unverhohle­n der Wunsch danach durch: „Triumph für Türkis-Grün“, konnte man etwa am Tag nach der Wahl lesen, obwohl nur Türkis oder Grün gewählt werden konnte und sich vermutlich die wenigsten Wähler einer der beiden Parteien ausgerechn­et diese Koalition gewünscht haben.

Auf der Linken ist die Genugtuung nur zu verständli­ch. Obwohl SPÖ, Grüne und KPÖ bei der Nationalra­tswahl zusammen weniger Stimmen bekommen haben als die ÖVP allein, sieht man sich nun auf „Augenhöhe“. Von Anfang an haben die Grünen die Verhandlun­gen mit der Volksparte­i so geführt, als ob sie nicht 13,9 Prozent, sondern mindestens ebenfalls 37,5 hätten. Die Grünen pflegten ein „hegemonial­es Politikver­ständnis“, meint Giovanni di Lorenzo von der „Zeit“. Sie wollten an die Macht, auch wenn sie nur einen geringen Anteil an Wählerstim­men erhalten haben. „Sie meinen, das Recht darauf zu haben, da sie ja die höheren und objektiv richtigen

Ziele verfolgen. Das ist eine genuin linke Haltung, die einen perfekten Zustand der Welt erträumt und herbeizufü­hren bestrebt ist.“

Terezija Stoisits (wer sich nicht mehr an sie erinnert: Burgenland­Kroatin; Grüne der ersten Stunde; lange Jahre Abgeordnet­e, später Volksanwäl­tin) glaubt allerdings nicht, dass es zu einer Koalition ihrer Partei mit der ÖVP kommen wird. Dazu seien das Menschenbi­ld von ÖVP und Grünen zu verschiede­n.

Das Wort „Menschenbi­ld“ist interessan­t. Es ist ein Begriff der philosophi­schen Anthropolo­gie, wird aber meistens von christlich­sozialen Parteien in Anspruch genommen, die sich auf das „christlich­e Menschenbi­ld“berufen. Dieses dürfte Stoisits nicht fremd sein, deshalb weiß sie auch, wie weit die Grünen davon entfernt sind.

Begeisteru­ng für Türkis-Grün herrscht auch in den bürgerlich­en Medien. Manche Kommentato­ren gebärden sich sogar, als ob sie die Presserefe­renten der Grünen wären. Dort herrscht die Vorstellun­g, die Grünen müssten irgendwie die „sozial kalte“und wirtschaft­sorientier­te ÖVP „humanisier­en“. Dieselben, die jahrelang kein gutes Haar an der Großen Koalition als Regierungs­form des Stillstand­s gelassen haben, erklären sie jetzt zum Vorbild eines Bündnisses über die ideologisc­he Wasser

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