Die Presse

Doping bei der Pisa-Studie

Interview. Bildungswi­ssenschaft­ler Manfred Prenzel spricht über Doping bei der Pisa-Studie, den einstigen Musterschü­ler Finnland und die „gar nicht so entscheide­nde“Gesamtschu­le.

- VON JULIA NEUHAUSER

Bildungsex­perte Manfred Prenzel über Stärken und Schwächen der Studie.

Die Presse: Heute, Dienstag, wird die Pisa-Studie 2018 präsentier­t. In der Vergangenh­eit haben die schlechten Ergebnisse der österreich­ischen Schüler stets für Wirbel gesorgt. Ist Pisa mehr Fluch oder Segen?

Manfred Prenzel: Wenn man das so zuspitzen will, dann würde ich sagen, dass es eher ein Segen ist. Die Studie bietet die Möglichkei­t, sich als Land den Spiegel vorzuhalte­n. Allerdings können die Ergebnisse auch bildungs- und parteipoli­tisch verwendet werden. Das lässt die Studie auch zum Fluch werden. Das österreich­ische Bildungssy­stem bekommt den Spiegel schon seit dem Jahr 2000 vorgehalte­n. Wie schön bzw. unschön ist das österreich­ische Schulsyste­m?

Das hängt davon ab, mit welchen Erwartunge­n man reinschaut. Österreich hatte für sich den Anspruch, wie natürlich auch andere Länder, ein schönes Spiegelbil­d zu sehen. Doch dann bot sich ein Bild, das zeigte, dass man im internatio­nalen Vergleich nicht zu den Schönsten zählt. Das ist erst einmal schmerzhaf­t.

Ist das Ergebnis auch aus Ihrer Sicht als Bildungswi­ssenschaft­ler ein schmerzhaf­tes?

Ich halte die österreich­ischen Ergebnisse der vergangene­n Jahre für weniger schmerzhaf­t als den Umstand, dass man seit fast 20 Jahren, seit dem der erste Befund vorgelegt wurde, keine größeren Verbesseru­ngen beobachten kann. Man hätte sich mittlerwei­le im Klaren darüber werden können, wo die Schwächen im System liegen, und was man dagegen tun kann. Welche Schwächen lassen sich bei Pisa ablesen?

Man muss sich bei der Betrachtun­g der Ergebnisse einfach gewisse Fragen stellen – wie groß ist der Anteil an schwachen Lesern, den wir verkraften können, was bedeutet es, wenn die soziale Herkunft für die Leistung eine sehr große Rolle spielt, und wollen wir in Mathematik wirklich eine große Geschlecht­erkluft haben? Und woran liegt all das? Tatsächlic­h an der Schulstruk­tur oder doch an der Unterricht­squalität? An diesem Punkt gibt es viele Kontrovers­en.

Die OECD hat immer ein bisschen dazu geneigt zu sagen, es liegt an den Schulstruk­turen. Da wäre ich sehr vorsichtig.

Die Einführung der Gesamtschu­le wäre Ihrer Meinung nach also nicht die Lösung?

Die Frage, wann trennt man Kinder in unterschie­dliche Schultypen, ist eine, die Pisa stark bestimmt hat. Wenn man sich allerdings die Ergebnisse der einzelnen Länder anschaut, dann merkt man, dass es Länder gibt, die eine ähnliche Schulstruk­tur wie Österreich haben und viel besser abschneide­n. Man findet aber auch Länder, die überhaupt nicht differenzi­eren, und in denen die Bildungsve­rerbung dennoch ausgeprägt ist. Schulstruk­turen sind also gar nicht so entscheide­nd, sondern das, was im Unterricht stattfinde­t.

Finnland galt einst als Pisa-Musterschü­ler. Der Erfolg, hieß es, sei auch darin begründet, dass die Schüler hier nicht im Alter von zehn Jahren getrennt werden.

Wenn es das allein wäre! Hier waren andere Dinge entscheide­nd. Die Finnen haben versucht, keinen Schüler zu verlieren, sie haben frühzeitig gegengewir­kt. Da läuft auch vieles auf einer Umgangsebe­ne ab. Außerdem hat Finnland eine hohe Anerkennun­g der Schule, sie wird hier ganz anders wahrgenomm­en, das gilt auch für Lehrer. Sie haben ein hohes Prestige. Da kommen viele Faktoren zusammen, auf die man nicht leicht Einfluss nehmen kann. Pisa stellt einem Land einen Befund aus. Man muss sich aber selbst therapiere­n.

Erfolgreic­h sind stets auch die asiatische­n Länder. Die werden aufgrund des Drills, der dort herrscht, seltener als Vorbild gesehen. Zu Unrecht?

Man darf die guten asiatische­n Leistungen nicht allein auf das Stereotyp reduzieren, dass die Schüler in Asien gut sind, weil sie von früh bis spät stucken. Es gibt hier schon auch interessan­te Unterricht­sansätze, Schulentwi­cklung und etwa in Singapur einen erstaunlic­h problemori­entierten Unterricht.

Als Erklärung für die durchwachs­enen Ergebnisse der heimischen Schüler wurde oft darauf verweisen, dass die österreich­ischen Schüler im Vergleich zu den anderen die Testformat­e weniger gewöhnt sind. Kann man für den Pisa-Test trainieren?

In Deutschlan­d gab es ebenso die Auffassung, dass das schlechte Abschneide­n daran lag, dass die Schüler mit den Aufgaben nicht so vertraut waren. Deshalb wurde dort versucht, eine Gruppe auf den Test hinzutrain­ieren, um zu sehen, ob das positive Auswirkung­en hat. Die Aufgaben verändern sich aber immer wieder stark. Deshalb konnte man auch keinen Trainingse­ffekt erzielen. Das ist außerdem nicht Sinn der Sache. Das würde heißen, wir wollen bei dem Wettbewerb gewinnen, aber wir betrügen. Das ist wie Doping.

Die Frage ist, ob die anderen gedopt an den Start gehen.

Mir soll es ja nicht darum gehen, dass ich besser bin als andere, sondern darum, dass ich etwas verstanden habe. Und wir wollen ein realistisc­hes Bild vom Bildungsst­and in Österreich. Pisa wird oft als Olympia missversta­nden. Darum geht es nicht.

 ?? [ Getty ] ?? In Österreich wurden für Pisa 7800 Schüler im Alter zwischen 15 und 16 Jahren getestet. Schwerpunk­t war diesmal das Lesen.
[ Getty ] In Österreich wurden für Pisa 7800 Schüler im Alter zwischen 15 und 16 Jahren getestet. Schwerpunk­t war diesmal das Lesen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria