Putins heikle Allianz mit China
Analyse. Die neue Pipeline „Kraft Sibiriens“gilt als Symbol der Allianz zwischen Moskau und Peking. Doch die Chinesen sind beinharte Verhandler.
Moskau. Das Zeremoniell war auf ein Minimum beschränkt. Für den Startschuss der Pipeline „Kraft Sibiriens“begaben sich Xi Jinping und Wladimir Putin erst gar nicht in die sibirische Kälte. Per Konferenzschaltung eröffneten sie am Montag einen Abschnitt der Pipeline, die russisches Erdgas an China liefern wird. Ein Beispiel für die „gegenseitige nützliche Zusammenarbeit“nannte Xi das Projekt von einem Podium mit rotem Hintergrund aus und lobte die „Meisterschaft“der beteiligten Ingenieure. Putin, der überhaupt nur in einem recht kahlen Zimmer saß, schloss sich dem Lob an. Die chinesischrussische Energiekooperation stehe nunmehr auf „neuem Niveau“. Vor Ort ließ man Gazprom-Chef Alexej Miller den Hahn aufdrehen. Pragmatik pur. Nach zehn Minuten war die Show vorbei.
Und dennoch: Die Inbetriebnahme der Pipeline gilt als wichtiges Ergebnis der sich intensivierenden chinesisch-russischen Beziehungen. Im Mai 2014 beschlossen Moskau und Peking den Bau des Projekts. Das Verhältnis Moskaus zum Westen hatte sich in jenen Tagen zusehends verschlechtert. Der Kreml suchte in der Hinwendung zum östlichen Nachbarn eine Minimierung der Verluste. Mit dem Bau der Pipeline setzte man zudem ein Signal in Richtung Westen: Es geht auch ohne euch. Plötzlich wurde China als Lösung für alle möglichen Probleme präsentiert: Kredite, Transportrouten, Direktinvestitionen – all das wollte man nun von Peking bekommen.
Nach fünf Jahren ist Realismus eingekehrt: In Moskau weiß man, dass Peking sehr genau auf seine Interessen achtet und die Partnerschaft Grenzen hat. „Unsere chinesischen Freunde sind schwierige Verhandlungspartner“, sagte Putin im Oktober in Bezug auf die Gasleitung. Der Bau von „Kraft Sibiriens“war sehr teuer, Experten bezweifeln ihre Rentabilität. Kurz vor ihrer Einweihung wurde zudem die erste Autobrücke über den Grenzfluss Amur fertiggestellt. Sie soll im Frühling 2020 eröffnet werden. Auch dieses Projekt illustriert eher die (bisherige) Distanziertheit beider Länder: Von der Idee bis zur Ausführung vergingen 20 Jahre.
Gemeinsame Militärmanöver
Auch jenseits der Transportwege versuchen Peking und Moskau, gemeinsame Ziele zu definieren. Mal funktioniert das besser, mal schlechter. Schwungvoll läuft die Kooperation in militärischen Agenden. Das Militär ist einer der wenigen Bereiche, in denen Moskau technologisch im Vorteil ist. Seit dem großen Manöver Wostok 2018, an dem China mit offiziell 3500 Soldaten teilnahm, fanden weitere gemeinsame Militärübungen statt. Russland lieferte Kampfflugzeuge und Bodenluftraketen an Peking. Und es will, so kündigte Präsident Putin unlängst an, für China ein Raketenwarnsystem entwickeln.
Während Putin und Xi die Pipeline eröffneten, weilte der Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates, Nikolaj Patruschew, in Peking. In puncto Cybersicherheit und Überwachungstechnologie kann Moskau, das die Kontrolle des Staates über das Runet verstärken will, sich einiges von Peking abschauen.
Auch im Tourismus ist ein sprunghafter Anstieg an Kontakten sichtbar. Von 870.000 chinesischen Besuchern im Jahr 2014 ist der Zustrom auf 1,6 Millionen im Vorjahr angewachsen. Vor allem in St. Petersburg ist das zu spüren – und lässt Touristiker ächzen. Teilweise sind Sehenswürdigkeiten von chinesischen Gruppen derart überlaufen, dass vor Ort über eine Kontingentierung nachgedacht wird. In Sibirien urlauben Chinesen am Baikalsee oder begeben sich auf die Spuren Lenins – etwa in seinem südsibirischen Exil Schuschenskoje. Doch auch im Tourismus achtet Peking auf seinen Vorteil: Von den Ausgaben bleibt nicht viel in Russland, da ein dichtes Netzwerk aus chinesisch geführten Hotels, Fremdenführern und Souvenirläden besteht.
Auch anderswo geht die Kooperation für Moskau nicht in jeder Hinsicht auf. Hoffnungen, die Diversifizierung der russischen Wirtschaft durch Handel voranzutreiben, haben sich nicht bestätigt. Russland bleibt für Peking mit zwei Dritteln der Exporte vor allem Lieferant von billigen Rohstoffen. Zuletzt gelang Russland eine Steigerung der Holzausfuhren. Bei den Chinesen überwiegen hingegen verarbeitete Produkte: Maschinen, Fahrzeuge, Konsumgüter. Russische Märkte werden seit Jahren mit billigen chinesischen Textilien und Schuhen überschwemmt.
Schweigen zur Krim
In einem sind sich Peking und Moskau freilich einig: die Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und die Akzeptanz „souveräner“Handlungen. Putins Landnahme der Krim mag Peking beunruhigt haben, mit öffentlicher Kritik hält man sich aber zurück. Ähnlich still verhält sich Moskau beim Konflikt im Südchinesischen Meer oder der Unterdrückung der Uiguren. Fraglich ist, ob die von beiden geteilte Kritik an der Rolle der USA im Weltsystem für eine tiefe Partnerschaft ausreicht.
Weder Peking noch Moskau wollen Juniorpartner in der Allianz sein. Doch ihre Selbsteinschätzung unterscheidet sich: Während Moskau nach weltpolitischem Einfluss strebt, wird Peking dem Kreml diese Führungsrolle nicht zugestehen. Auch bezüglich Wirtschaftsleistung und Bevölkerungsentwicklung sind die Partner ungleich. 143 Millionen Russen stehen knapp 1,4 Milliarden Chinesen gegenüber. Gerade im dünn besiedelten Süden Sibiriens und im Fernen Osten herrscht Angst vor einer Landnahme durch das chinesische Business – auch wenn die Staatsführung sich in der brüderlichen Umarmung übt.