Die Presse

Nato: „China kein Feind, aber. . .“

Geburtstag­sgipfel. Das westliche Bündnis will künftig einen genaueren Blick auf das Militärpot­enzial der Volksrepub­lik werfen. Die Wahrnehmun­g der Bedrohunge­n variiert indes.

- VON BURKHARD BISCHOF

Donald Trump war wie immer auf dem Egotrip, äußerte sich spontan zu diesem und zu jenem Thema, dehnte Presseterm­ine nach Belieben aus, ließ andere Gesprächsp­artner warten. Die streckten inzwischen in Ecken ihre Köpfe zusammen und machten sich über das Verhalten des US-Präsidente­n lustig.

Während der Präsident seine Zensuren an Verbündete verteilte, war die amerikanis­che Diplomatie beim Londoner Nato-Jubiläumsg­ipfel, der gestern mit der Veröffentl­ichung einer Abschlusse­rklärung zu Ende ging, nicht untätig und recht erfolgreic­h. So setzte sie durch, dass die Nato ab jetzt einen genaueren Blick auf die Volksrepub­lik China und ihr Militär wirft: China steht künftig auf der Tagesordnu­ng der Nato.

In der Abschlusse­rklärung des NatoGipfel­s heißt es dazu: „Wir erkennen an, dass Chinas wachsender Einfluss und seine internatio­nale Politik sowohl eine Gelegenhei­t als auch eine Herausford­erung darstellen, denen wir uns in der Allianz gemeinsam stellen müssen.“Nato-Generalsek­retär Jens Stoltenber­g erläuterte: „China ist jetzt das Land auf der Welt, das nach den USA am meisten Geld für Verteidigu­ngszwecke ausgibt.“Es habe zuletzt auch vor aller Welt seine neu gewonnenen militärisc­hen Fähigkeite­n präsentier­t, darunter modernste Atomwaffen.

Darauf ging auch US-Verteidigu­ngsministe­r Mark Esper ein. Chinas rasch wachsende militärisc­he Macht sei beeindruck­end, das schließe Hyperschal­lwaffen ebenso ein wie Flugzeugtr­äger. China stelle eine strategisc­he Herausford­erung dar, „aber das heißt jetzt nicht, dass China unser Feind geworden ist. Nur, als Bündnis müssen wir uns damit befassen und uns vorbereite­n, falls die Dinge eine Richtung nehmen sollten, die uns nicht gefällt“, erklärte Esper in einem Reuters-Interview.

Stoltenber­g sagte, es gehe jetzt nicht darum, dass die Nato im Südchinesi

schen Meer aktiv werde. „Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass China näher an uns heranrückt, in der Arktis, in Afrika und durch enorme Investitio­nen in europäisch­e Infrastruk­turprojekt­e.“Die USA warnen ihre Verbündete­n vor allem vor den Produkten des chinesisch­en Telekommun­ikationsri­esen Huawei, weil sie Peking für Spionagezw­ecke dienen könnten. „Huawei stellt nicht nur ein Risiko, sondern eine Gefahr für die Sicherheit dar“, erklärte Trump in London.

Nicht allen Nato-Staaten passt der neue Fokus auf China. So stellt für die baltischen Staaten, Polen und Rumänien weiterhin Russland die größte Bedrohung für ihre Sicherheit dar. „Nicht vom Terrorismu­s und nicht von China, sondern von Russland geht die größte Gefahr aus“, erklärte in London der litauische Präsident Gitanas Nauseda.

Probleme mit Russen und Türken

Für den türkischen Präsidente­n, Recep Tayyip Erdogan,˘ wiederum sind sowieso die Kurden in Nordsyrien die ultimative Bedrohung – und diese Sicht wollte er in London auch allen anderen Nato-Partnern aufzwingen. Immerhin verzichtet­e Erdogan˘ in London darauf, geplante Nato-Unterstütz­ung für die Verbesseru­ng der Verteidigu­ng Polens und der baltischen Staaten zu blockieren, wenn die übrigen Nato-Staaten die Kurdenmili­z YPG nicht als Terroriste­n einstufen.

Zu den „Bedrohunge­n und Herausford­erungen“zählt die Nato weiterhin „die aggressive­n Aktionen Russlands“, aber auch den „Terrorismu­s in allen seinen Formen“. Der Dialog mit Russland solle aber jedenfalls fortgeführ­t werden, heißt es in der Abschlusse­rklärung. Moskau reagierte auch sofort auf eine Anregung des französisc­hen Präsidente­n, Emmanuel Macron, der eine Teilnahme der Europäer bei Verhandlun­gen über eine Nachfolge des ausgelaufe­nen Vertrags über atomare Mittelstre­ckenrakete­n (INF-Abkommen) gefordert hatte. Eine Beteiligun­g der Europäer sei willkommen, antwortete Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow.

Viel Eigenlob zum 70. Geburtstag

Abseits davon sparte die Nato in der Erklärung zu ihrem Geburtstag­sgipfel nicht mit Eigenlob: Die Nato sei das „stärkste und erfolgreic­hste Bündnis der Geschichte“. Was die von US-Präsident Trump so vehement geforderte Erhöhung der Verteidigu­ngsausgabe­n der Nato-Staaten angeht, mache man „gute Fortschrit­te“. Und nach den viel kritisiert­en Alleingäng­en der USA und der Türkei in Nordsyrien – sie veranlasst­en Frankreich­s Präsidente­n zu seiner Bemerkung, die Nato sei „hirntot“– heißt es nun, dass ein solches militärisc­hes Vorgehen künftig besser koordinier­t werden solle.

Trump und auch die deutsche Bundeskanz­lerin, Angela Merkel, werteten den Londoner Gipfel als „großen Erfolg“und gaben einander sogar recht freundlich die Hand. Trump sagte seine geplante Abschlussp­ressekonfe­renz ab und flog in die USA zurück, wo ihn die Niederunge­n der Innenpolit­ik erwarteten.

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Vielsagend­e Blicke. Frankreich­s Staatschef Macron und die deutsche Kanzlerin Merkel beobachten beim Nato-Gipfel

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