Die Presse

Mafia, Machtkampf und Millionen

Kirgistan. Ex-Staatschef Almasbek Atambajew muss sich wegen Freilassun­g eines Gangsterbo­sses vor Gericht verantwort­en – und schweigt. Zudem erschütter­t ein Geldwäsche­skandal die Republik.

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Atambajew ist Verlierer in einem Machtkampf, der die sechs Millionen Einwohner zählende Bergrepubl­ik seit Jahresbegi­nn in Atem hält und das Land gefährlich nah an einen bewaffnete­n Konflikt gebracht hat. Der Kern des Problems: Atambajew, von 2011 bis 2017 Präsident der zentralasi­atischen Republik, wollte nach seinem Abtritt weiterhin die Geschicke seines Landes bestimmen. Formal machte er in einer Wahl den Weg frei für seinen favorisier­ten Nachfolger, Sooronbaj Dscheenbek­ow.

Aus Atambajews Sicht war Dscheenbek­ow der perfekte Kandidat: zurückhalt­end, farblos, aber loyal, und noch dazu, anders als er selbst, aus dem Süden des Landes. In der polarisier­ten politische­n Landschaft Kirgistans mit ihren regional gebundenen Eliten schien Dscheenbek­ow die perfekte Nominierun­g. Atambajews Ambitionen kam indes der unerwartet­e Ehrgeiz des Nachfolger­s in die Quere. „Dscheenbek­ow wollte keine Marionette sein“, sagt der politische Analyst Emilbek Schorojew zur „Presse“.

Die Kirgisen sind internatio­nal bekannt für ihr beherztes politische­s Eingreifen. Nicht zum ersten Mal ist ein Ex-Staatschef in einer „unkomforta­blen Position“, wie Schorojew es nennt. Der erste Präsident des Landes, Askar Akajew, lebt seit der Tulpenrevo­lution 2005 im Moskauer Exil. Sein Nachfolger, Kurmanbek Bakijew, floh 2010 ins benachbart­e Minsk. Einzig Übergangsp­räsidentin Rosa Otunbajewa, die nach dem Umsturz im Amt war, lebt unbehellig­t in Bischkek. Schorojew: „Sie hat sich aus der Politik zurückgezo­gen.“Atambajew, der sich als Vater der Nation inszeniert­e, wollte nicht in Pension gehen. „Ihm fehlte das Verständni­s, dass er die Sache verschlimm­ern würde, wenn er nicht aufhört.“

Höhepunkt des immer offener ausgetrage­nen Konflikts war die Erstürmung von Atambajews Residenz im August 2019, in die er sich mit Anhängern zurückgezo­gen hatte. Bei der viel kritisiert­en Polizeiope­ration starb ein Beamter und es wurden zahlreiche Waffen gefunden. Bektour Iskender, 34-jähriger

Mitgründer des unabhängig­en Online-Magazins Kloop, sieht den Fall Atambajew kritisch. Der Ex-Staatschef habe sich über das Gesetz gestellt, auch für Liberale sei es „schwer, ihn zu verteidige­n“.

Mittlerwei­le wird dem ExStaatsch­ef nicht mehr nur die unter dubiosen Umständen erfolgte frühzeitig­e Freilassun­g des russischen Gangsterbo­sses Asis Batukajew vorgeworfe­n, sondern seit August auch Umsturz der staatliche­n Ordnung und die Verantwort­ung für den Tod des Polizisten. Zugegeben, sagt Bektour Iskender: Neben Atambajew gebe es viele Fälle von Machtmissb­rauch, Korruption und Vetternwir­tschaft. „Wenn Parlaments­sitze für Geld angeboten werden, hält man das bei uns fast für normal“, so Analyst Schorojew.

Die Kirgisen mögen an vieles gewohnt sein. Doch der aktuelle Fall eines Geldwäsche­netzwerks unter mutmaßlich­er Aufsicht von hohen Beamten übersteigt selbst die kirgisisch­en Ausmaße. Im Zentrum steht Ex-Vize-Zollchef Raimbek Matraimow, der wegen seines Reichtums „Raim Million“genannt wird. In der Amtszeit Atambajews wurde er reich, galt als unangreifb­ar, viele seiner Clan-Angehörige­n sind in einflussre­ichen Positionen. Laut Recherchen von Investigat­ivjournali­sten soll er in einen Geldwäsche­skandal zwischen Kirgistan, China und der Türkei verwickelt sein.

Die Journalist­en deckten auf, dass über mehrere Jahre 700 Millionen Dollar Schwarzgel­d durch Kuriere außer Landes gebracht wurden. Dem Staat entgingen so Steuereinn­ahmen und Zollgebühr­en. Die Recherchen – an denen Bektour Iskenders Medium Kloop beteiligt war – schlugen hohe Wellen. Ein Insider, der ausgepackt hatte, wurde im November in Istanbul ermordet. Iskender dazu: „Über den Präsidente­n kann man fast alles schreiben. Nicht so über Matraimow – da haben alle Angst.“

Matraimows Einfluss erinnert an die Macht der unangreifb­aren Oligarchen im postsowjet­ischen Raum – eine besorgnise­rregende Tendenz in einem Land, das für seine relative Pressefrei­heit und Pluralismu­s bekannt ist. Der ExBeamte wurde unlängst von den Ermittlern zu den Vorwürfen befragt. Fünf Stunden lang, dann durfte er gehen. Die kirgisisch­e Justiz hat nun gleich zwei Fälle, die sie auf eine harte Probe stellen.

 ?? [ Reuters ] ?? Der frühere kirgisisch­e Präsident Almasbek Atambajew – hier noch in Freiheit – sitzt derzeit in Untersuchu­ngshaft.
[ Reuters ] Der frühere kirgisisch­e Präsident Almasbek Atambajew – hier noch in Freiheit – sitzt derzeit in Untersuchu­ngshaft.

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