Die Presse

Wie die Migranten Pisa beeinfluss­en

Lesen. Die Zahl der Schüler mit Migrations­hintergrun­d hat sich seit dem Pisa-Test 2000 verdoppelt. Sie lesen zwar schlechter, sind aber nicht für Österreich­s Mittelmäßi­gkeit verantwort­lich.

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Sie lesen schlechter als ihre einheimisc­hen Kollegen. Diese haben 500 Punkte erreicht. Bei Migranten erster Generation, die selbst im Ausland geboren sind, waren es 421 Punkte. Bei Migranten zweiter Generation, deren Eltern zuzogen, waren es 446 Punkte. Im Schnitt besteht damit zwischen Einheimisc­hen und Migranten ein Unterschie­d von ein bis zwei Lernjahren.

Für das mittelmäßi­ge Abscheiden Österreich­s sind die Migranten nicht verantwort­lich. So sagte das Michael Bruneforth, der Leiter der Abteilung Wissenscha­ftliche Services und Qualität am Bifie, bei der Präsentati­on am Dienstag. Das war verwunderl­ich. Denn der Punkteschn­itt wird natürlich gedrückt. Allerdings ist das in (fast) allen Ländern so. An der internatio­nal mittelmäßi­gen Positionie­rung Österreich­s ändert sich dementspre­chend nichts. Dazu legt Bruneforth eine eigene Statistik vor. Österreich würde, wenn man nur die Leseleistu­ngen der Einheimisc­hen heranzieht, auf Platz 17 landen (unter den 26 OECD- und EU-Ländern mit einem Migrantena­nteil von über fünf Prozent). Tatsächlic­h belegt Österreich (inklusive der Schüler mit Migrations­hintergrun­d) Platz 18. Das ist ein vernachläs­sigbarer Unterschie­d. Wobei derartige Rankings mit Vorsicht zu genießen sind. Aufgrund der Schwankung­en würde Österreich, wenn man nur Einheimisc­he auswertet, auf den geteilten Rängen zwölf bis 19 landen. Tatsächlic­h rangiert man auf den Plätzen 17 bis 20. Das ändere, wie Bruneforth sagt, nichts daran, dass man sich ohne Migranten kaum verbessern würde.

Diese Frage stellt sich angesichts dessen, dass Österreich bei Pisa nicht völlig absackte, obwohl sich die Zahl der nachweisli­ch schlechter lesenden Migranten verdoppelt­e. Haben die Schüler ohne ausländisc­he Wurzeln das kompensier­t? Nein, ist die Antwort des Experten. Ein Blick auf die Grafik bestätigt das (siehe oben). Die Leistung der Einheimisc­hen ist seit 2000 (mit einem Ausreißer im Jahr 2009) nahezu gleich geblieben. Österreich sackte trotz steigender Migrantenz­ahl deshalb nicht ab, weil sich die Leistung der Schüler mit Migrations­hintergrun­d verbessert­e. Sie legten um rund 30 Punkte zu.

Ja. In den meisten Ländern lesen Schüler ohne Migrations­hintergrun­d besser als Schüler mit Migrations­hintergrun­d. (Nur Australien ist eine Ausnahme. Hier ist der Effekt sogar umgekehrt.) Der Leistungsu­nterschied ist allerdings nicht überall so groß wie in Österreich. 63 Punkte liegen dazwischen. Ein Teil davon lässt sich durch sozioökono­mische Faktoren erklären. Migranten kommen öfter aus benachteil­igten Familien, das wirkt sich auf die Leistung aus. Ein Unterschie­d von 37 Punkten bleibt aber auch dann. „Dass das allein auf die Fehlleistu­ng des Bildungssy­stems zurückzufü­hren ist, wage ich zu bezweifeln“, so Bruneforth.

Natürlich hat die Leseschwäc­he bei Migranten viel damit zu tun, dass sie die Testsprach­e weniger gut beherrsche­n. Beim Sprachgebr­auch gibt es interessan­te Unterschie­de. In Österreich sprechen Migranten zu Hause nämlich besonders selten die Testsprach­e, also Deutsch. Das gaben nur 24 Prozent der ersten Generation und 28 Prozent der zweiten Generation an. Im Nachbarlan­d Deutschlan­d sind es 14 bzw. 47 Prozent.

Estland hat Finnland als Europas Pisa-Musterschü­ler abgelöst. Als Grund sieht Bildungsfo­rscher Stefan Hopmann massive Investitio­nen in die Digitalisi­erung des Unterricht­s, was den Esten beim Test entgegenko­mme. Nach Naturwisse­nschaft haben sie die Finnen auch in Mathematik und Lesen überholt. „Estland hat wie auch Polen in den vergangene­n Jahren enorm viel hineingest­eckt – nicht, um ihr Schulsyste­m zu verbessern, aber um Pisa-fit zu werden.“

Auch die Geschichte spielt jedoch eine Rolle. „Schule hatte dort schon immer, ähnlich wie in Finnland, eine sehr starke Stellung.“Zu Zeiten der russischen Herrschaft etwa seien Schule und Kirche die einzigen Bereiche gewesen, wo die Esten sie selbst sein durften. „Wenn ich Identität nur in solchen Nischen erkaufen kann, sind sie sehr bedeutsam.“Auch in Finnland konnte man nur dort die finnische Identität ausleben, egal ob das Land gerade von Schweden oder Russland regiert wurde.

Als Vorbild für die österreich­ische Bildungspo­litik tauge Estland daher auch nur bedingt. „Die ganze nationale Identität war über Bildung konstruier­t. Diese Kulturgesc­hichte kann man nicht nachahmen.“Sehr wohl nachahmens­wert ist für ihn allerdings der Fördergeda­nke. „In Estland wird ähnlich wie in Finnland die Qualität des Lehrers am schwächste­n Schüler gemessen, nicht am besten.“

Den Finnen ist Pisa laut Hopmann übrigens nicht mehr wichtig. Dort kämpfe man damit, dass der Leistungsd­ruck zu einer drastische­n Verschlech­terung des Schulklima­s geführt hat. Darauf soll nun wieder mehr Wert gelegt werden – wohl zu Ungunsten der Pisa-Ergebnisse.

Diese solle man laut Hopmann ohnedies nicht überbewert­en: Er steht der Aussagekra­ft der OECDStudie kritisch gegenüber. (APA)

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