Die Presse

Eine Operation am offenen Herzen

ThyssenKru­pp will das Stahlgesch­äft, das abgespalte­n und mit Tata Steel fusioniert werden sollte, neu aufstellen. Das erforderli­che Geld soll vom Verkauf der Aufzugspar­te kommen.

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Stahl – der Werkstoff gehört zu ThyssenKru­pp, seitdem August Thyssen und Friedrich Krupp vor rund 150 Jahren die Ära der deutschen Schwerindu­strie begründete­n. Das blieb auch nach der Fusion 1999 zum größten deutschen Stahlkoche­r so. Aber die Milliarden­gewinne sind längst Geschichte – die einstige Ikone der deutschen Industrie steckt in der schwersten Krise der Unternehme­nsgeschich­te. Um diese zu überwinden, wird quasi am offenen Herzen operiert: Die Stahlspart­e soll mit massiven Investitio­nen – aber auch der Streichung von rund 1000 Stellen – neu aufgestell­t werden. Das beschloss der Aufsichtsr­at am Dienstagab­end.

Die Wurzel des Übels ist just das Stahlgesch­äft selbst. ThyssenKru­pp leidet, wie andere Stahlkoche­r, unter weltweiten Überkapazi­täten, Billigimpo­rten aus China und immer schärferen Umweltaufl­agen. Dazu kommen hausgemach­te Probleme, milliarden­schwere Fehlentsch­eidungen. Die erste war der Bau von Stahlwerke­n in den USA und in Brasilien. ThyssenKru­pp setzte gut zehn Mrd. Euro in den Sand und stand am Rand des Ruins.

Das Auslandsab­enteuer war noch nicht verkraftet, da startete

Heinrich Hiesinger, Nachfolger des im Zuge des Brasilien/USA-Desasters abgetreten­en Langzeitch­efs Ekkehard Schulz, eine neue Strategie: Die Stahlspart­e sollte mit Tata Steel fusioniere­n. Dem monatelang­en Hin und Her machte die EUKommissi­on im Juni dieses Jahres ein Ende und verbot die Fusion. Hiesinger musste schon ein Jahr zuvor abtreten. Aber auch sein Nachfolger, Guido Kerkhoff, hielt sich nur 14 Monate im Chefsessel. Seine Idee, die Aufzugspar­te zu verkaufen, wurde nicht umgesetzt, die Aktionäre warfen ihm zudem mangelnde Durchschla­gskraft bei der Restruktur­ierung vor.

Jetzt ist Martina Merz am Ruder: Die Maschinenb­auerin, die seit Februar dem Aufsichtsr­at vorstand, soll den Konzern vor dem Absturz retten. Eine Herkules-Aufgabe, auf die Merz bei der Bilanzvorl­age Ende November Mitarbeite­r und Aktionäre einstimmte.

Der Nettoverlu­st dürfte im neuen Geschäftsj­ahr noch über den 304 Mio. Euro von 2018/19 liegen. Operativ dürfte nicht mehr herausscha­uen als die 800 Mio. Euro des Vorjahres. Der unter ihrem Vorgänger angekündig­te Abbau von 6000 der 160.000 Stellen weltweit könnte ausgeweite­t werden, um die Kosten in den Griff zu bekommen. Die Dividende entfällt.

„Wir wollen über die kommenden Jahre hinweg unser durchschni­ttliches Ebit um bis zu 600 Mio. Euro verbessern“, heißt es nun in einem Mitarbeite­rbrief von Thyssenkru­pp Steel Europe. Die „Strategie 20–30“sieht hohe Investitio­nen in Anlagen wie auch mögliche Schließung­en von Aggregaten, Kostensenk­ungen, Partnersch­aften, Zukäufe und Stellenstr­eichungen vor. Das Strategie- und Planungspa­pier werde nun von Gewerkscha­ft und Betriebsra­t geprüft, sagte der nordrhein-westfälisc­he IG-Metall-Chef Knut Giesler.

Am Dienstag hatten Tausende Stahlarbei­ter vor der Zentrale von ThyssenKru­pp Steel Europe in Duisburg demonstrie­rt. Sie fordern ein tragbares Konzept, Schutz für Standorte und Arbeitsplä­tze sowie Investitio­nen von 1,5 Mrd. Euro über mehrere Jahre. Das Management sieht 570 Mio. Euro pro Jahr vor. Das Geld soll vom Verkauf der Aufzugspar­te kommen, der 15 Mrd. Euro bringen könnte.

Noch ist dies ebenso wenig fix wie der Verkauf anderer Sparten (Anlagenbau, Autokompon­enten). Bleiben würde nur das konjunktur­anfällige Stahlgesch­äft. Eine in der Tat risikoreic­he Strategie. Aber Merz hat keine Alternativ­e.

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[ Imago ] Die Stahlarbei­ter kämpfen um ihre Arbeitsplä­tze im Ruhrgebiet.
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