Papst Benedikts geheimer Plan
Film. „Die zwei Päpste“ist das erste große katholische Märchen des Streaming-Zeitalters. Netflix will dabei Konservative und Liberale versöhnen – mit einer Verschwörungstheorie.
Glaube braucht Geschichten, nicht nur die uralten, auch immer neue. Das macht ihn für einen der mächtigsten Geschichtenlieferanten des neuen Jahrtausends, Netflix, attraktiv. Nun liefert der Streamingdienst das größte katholische Märchen der Unterhaltungsindustrie seit Langem: „Die zwei Päpste“kommt am Nikolaustag ins Kino und vier Tage vor Weihnachten ins Netflix-Programm. Und da der Streamingdienst im Grunde werden will, was „katholisch“ursprünglich bedeutete, nämlich allumfassend, sucht dieser Film das Unmögliche: Er will Benedikt- wie Franziskus-Anhänger befriedigen – mit einem ausgefuchsten erzählerischen Manöver.
„Die zwei Päpste“beginnt mit dem Konklave 2005, das Ratzinger zum Papst machte, und endet 2014, ein Jahr nach der Wahl von Papst Franziskus. Meisterhaft setzt der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles katholischen Prunk und den Reiz der Rituale in Szene, doch vor allem aber kostet er ein schauspielerisches Gipfeltreffen aus: In etlichen Tete-`ˆa-Tetesˆ mit Situationskomik, subtilem Witz und Doppelbödigkeiten erlebt man Anthony Hopkins als Benedikt und Jonathan Pryce als (dem echten erstaunlich ähnlichen) Franziskus: ob im Garten von Castel Gandolfo oder in Benedikts Privatgemächern im Vatikan. Bei den Prinzipien, die dabei aufeinanderprallen, geht es weniger subtil zu, auf den Punkt gebracht sind das:
Stillstand versus Veränderung. Und leider fehlt die Warnung, die Romanen gerade dann vorangestellt wird, wenn sie realitätsnah sind: die Warnung, die Figuren nicht mit realen Personen zu verwechseln.
In seinem Buch „Die zwei Päpste“(Diogenes-Verlag) betont der britische Autor Anthony McCarten, der auch das Filmdrehbuch geschrieben hat, dass weder Ratzinger noch Bergoglio Papst werden wollten. Für den Film war das wohl zu wenig antagonistisch. Und so lauert in Hopkins Augen die Gier, als die Kardinäle 2005 ihre Stimmen abgeben. Hopkins spielt auch viel viriler und machtbewusster, als es der Erscheinung Ratzingers entsprach. Sein Händeheben beim ersten Auftritt als Papst auf dem Petersplatz ist eine triumphale Geste.
Das erste längere Gespräch zwischen Bergoglio und Benedikt findet im Film Jahre später im Garten der Sommerresidenz Castel Gandolfo statt. Bergoglio hat Benedikt sein Rücktrittsgesuch als Bischof geschickt, er will in den Ruhestand, hat aber lang keine Antwort erhalten – stattdessen aber letztendlich eine Einladung zum Papst. Benedikt fürchtet diesen volksnahen, ständig die Etikette über den Haufen werfenden und luxusfeindlichen Mann aus Buenos Aires. Im Film lehnt er das Rücktrittsgesuch nur deshalb ab, weil er meint, dieses könnte von Reformern als Kritik an seiner eigenen Politik verstanden werden.
Ein schlauer Fuchs ist dieser Benedikt, geistreich, sarkastisch, er hat die Lacher auf seiner Seite – solange es nicht theologisch wird. Ausgerechnet auf dem Terrain, wo der echte Ratzinger intellektuell brillierte, kann er im Film Bergoglios schlichten Argumenten nichts entgegensetzen. Besser wohl: Er darf ihnen nichts entgegensetzen. Denn für die Filmemacher ist klar, wer das Recht auf seiner Seite hat: Bergoglio.
Trotzdem muss auch Versöhnung her. Sie läuft hier übers Menschliche, die zwei Männer rücken einander durch Fehler, die sie in der Vergangenheit gemacht haben, näher, durch ihre Zweifel, Sehnsüchte, Schwächen (grandios: Hopkins als Benedikt am Klavier). Und nicht zuletzt, indem der Film seine eigene Theorie zu Benedikts Rücktritt entwickelt. Im Film erkennt Benedikt letztlich selbst, dass die Kirche Reformen braucht. Er tritt erst zurück, nachdem er sich vergewissert hat, dass es einen guten Nachfolger für ihn gibt – Bergoglio.
Ein fabelhaftes Märchen ist „Die zwei Päpste“(solange man es nicht mit der Realität verwechselt), und in einer großen katholischen Geschichte darf eben auch ein Heilsplan nicht fehlen. Großzügig wird dieser hier dem „Verlierer“Benedikt zugeschoben. Auch am Ende sorgt der Film noch einmal augenzwinkernd für Ausgleich: Da sitzen die zwei Päpste 2014 gemeinsam vor dem Fernseher, das Programm – WM-Finale, Deutschland gegen Argentinien – gibt Franziskus vor. Und was passiert? Deutschland gewinnt.