Warum es Abtreibungen auf Krankenschein braucht
Österreich hinkt bei der finanziellen Unterstützung von Abtreibungen vielen Ländern hinterher. Sogar die konservative Schweiz erstattet die Kosten zurück.
Manchmal rechne ich das Alter nach. Bald acht Jahre. Dann überlege ich, was ich in dieser Zeit alles getan habe, verantwortlich nur für mich selbst. Es war eine Entscheidung, an der ich nie zweifelte. Hin und wieder male ich mir allerdings eine alternative Realität aus. Nicht jene als Mutter, nein, ich frage mich, was gewesen wäre, wenn ich weder Geld noch Zugang zu Informationen gehabt hätte.
In der deutschen Stadt Gießen muss sich die Ärztin Kristina Hänel nächste Woche vor Gericht verantworten. Ihr Vergehen: Auf ihrer Website informiert sie über die Arten der Schwangerschaftsabbrüche, die sie anbietet. In Deutschland gilt ein Werbeverbot, das dermaßen streng ausgelegt wird, dass sogar solche weiterführenden Informationen darunterfallen. Das ist skandalös. Es ist ein medizinischer Eingriff. Wie soll man entscheiden, ohne darüber Bescheid zu wissen? Man muss erwägen, ob er medikamentös oder operativ durchgeführt werden soll; beides hat Vor- und Nachteile. Ich bin froh, dass ich mich damals nicht an Doktor Google wenden musste.
Dieses Werbeverbot, das es in Österreich nicht gibt, ist absurd: Als ob erst eine geschickt gemachte Reklame Frauen oder werdende Eltern davon überzeugen würde, das Kind doch nicht zu bekommen. „Super, im Ambulatorium gibt’s diesen Monat Rabatt, da setz ich gleich die Pille ab!“Natürlich, niemand treibt gern ab. Aber letztlich sind es Interessenabwägungen zwischen dem Recht der Frau auf auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper und dem des Embryos.
Was hierzulande den Zugang zu Abtreibungen erschwert, sind die Kosten. Zwischen 300 und 800 Euro blättert man für den Eingriff hin. In Deutschland und Österreich zahlt die Krankenkassa, wenn die Gesundheit der Frau in Gefahr ist oder sie Opfer einer Vergewaltigung wurde. Bei unseren Nachbarn übernimmt die Versicherung zudem, wenn die Frau wenig verdient. Das gibt es bei uns nicht. Lediglich die Wiener MA 40 springt bei einer persönlichen, familiären oder wirtschaftlichen Notlage ein – allerdings nur für Frauen mit Hauptwohnsitz in Wien. Ich war damals Studentin und hatte kein eigenes Einkommen. Meine Familie hat es gezahlt. Wie ich sonst das Geld zusammengekratzt hätte? Ich weiß es nicht.
Österreich hinkt damit anderen Ländern hinterher. Norwegen, Schweden, Belgien, Holland und sogar die konservative Schweiz erstatten die Kosten zurück. Warum auch nicht? Pragmatisch betrachtet kommen unerwünschte Kinder den Staat teurer. Die sogenannte Fristenlösung feiert im Jänner immerhin ihren 45. Geburtstag. Einen Schwangerschaftsabbruch innerhalb dieses ersten Trimesters als Versicherungsleistung zu zahlen wäre weniger ein fortschrittliches Signal als vielmehr ein Anpassen an die Realität.
Es würde zudem helfen, das gesellschaftliche Stigma zu entfernen. Noch immer wird nur verschämt darüber gesprochen; auch ich habe nur wenigen davon erzählt, kaum darüber geredet, was ich damals empfand. Ich fühlte mich unfähig, und zudem unfair behandelt. Warum hatte ich die Schmerzen und nicht der potenzielle Vater des Kindes?
Die drastische Folge: Die Versorgung ist in Teilen Österreichs sehr schlecht. So gibt es beispielsweise in Vorarlberg und Tirol nur jeweils eine Praxis, die Eingriffe durchführt; lästige Proteste vor dem Gebäude inklusive. Aber warum eigentlich? Als Gesellschaft haben wir uns nicht nur darauf geeinigt, dass das Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein zentrales ist; wir gestehen Menschen auch zu, die Folgen von Missgeschicken und Fehlern zu korrigieren. Wer sich nicht ordentlich die Zähne putzt, dem zahlt die Versicherung eine Zahnbehandlung. „Hätten Sie halt besser aufgepasst“, hört man in dem Zusammenhang selten. Wir investieren in Dinge wie Bewährungshilfe, und das ist gut so. Also warum nicht auch Schwangerschaftsabbrüche?
Sie sind eine gesellschaftliche Realität. Eine unangenehme, und umso wichtiger ist es, darüber zu sprechen.