Nostalgie, Neurosen, Flirts
Film. Woody Allens „A Rainy Day in New York“kommt, nachdem alte Missbrauchsvorwürfe erneut laut geworden sind, nur in Europa ins Kino. Im Film geht es ausgerechnet um eine junge Frau, die sich von Hollywood-Männern herumreichen lässt.
Woody Allens „A Rainy Day in New York“kommt nur in Europa ins Kino. Ein uninspiriert wirkendes Alterswerk eines erschöpften Regisseurs.
Woody Allens 48. Film (oder, je nach Zählweise, auch der 50.) wird womöglich nie in einem Kino in den USA zu sehen sein. Als Allen 2017 gerade mitten in den Dreharbeiten zu „A Rainy Day in New York“war, flammte die | MeToo-Debatte auf – und damit auch der Vorwurf von Allens Adoptivtochter Dylan Farrow, die Allen beschuldigt, sie als Siebenjährige sexuell missbraucht zu haben. Der Vorwurf war seit den 1990er-Jahren publik, Allen hatte ihn stets zurückgewiesen. Zu einer Anklage kam es nie, er verlor aber das Sorgerecht für seine Tochter. Als diese nun erneut an die Öffentlichkeit ging, bekam sie mehr Gehör.
Und Allen bekam es mit offener Kritik zu tun: Bald nach Drehschluss distanzierte sich Hauptdarsteller Timothee´ Chalamet von dem Film und spendete seine Gage unter anderem an die „Time’s Up“-Bewegung; Selena Gomez, die eine Nebenrolle spielt, tat es ihm gleich. Das Produktionsstudio Amazon, das mit Allen einen Vertrag über vier Filme abgeschlossen hatte, erachtete „A Rainy Day in New York“als unvermarktbar und sagte den US-Kinostart ab. Ein millionenschwerer Rechtsstreit zwischen dem Studio und dem Regisseur ist inzwischen beigelegt. Letzterer kann sich damit trösten, dass sein Film immerhin in Europa, wo er sich immer schon mehr geliebt fühlte, gezeigt wird. In Österreich läuft er am Donnerstag an.
Und während Woody Allen bereits seinen nächsten Film (unter anderem mit Christoph Waltz) abgedreht hat, wird weiterhin diskutiert: Ist ein Film wie „A Rainy Day in New York“in Zeiten größeren Bewusstseins für Machtmissbrauch in Hollywood noch tragbar? Dass der Film auch inhaltlich auf die Debatte anzuspielen scheint, dürfte Allen nicht geholfen haben. Man kann sich die Schweißperlen auf den Stirnen der AmazonMarketingleute vorstellen, hätten sie kurz nach dem Weinstein-Skandal (den übrigens Allens Sohn Ronan Farrow mit aufgedeckt hat) ein Werk ins Gespräch bringen müssen, in dem eine junge Studentin 90 Minuten lang von einem Filmbusiness-Mann zum nächsten weitergereicht wird. Darauf lässt sich der Plot nämlich reduzieren: Die wohlerzogene, hoffnungslos naive Ashleigh (Elle Fanning) fährt gemeinsam mit ihrem Freund Gatsby (Chalamet) nach Manhattan, um dort für die Uni-Zeitung einen von ihr verehrten Filmregisseur zu interviewen.
Dieser (Liev Schreiber) stellt sich als von Selbstzweifeln geplagtes Nerverl heraus, das sich dankbar von Ashleigh über seine Schaffenskrise hinwegtrösten lässt. Aus seinen Armen schlittert Ashleigh in die eines Drehbuchautors (Jude Law), der mit einer Ehekrise hadert, und weiter in die eines feurigen Schauspielers (Diego Luna), der sie gleich mitnimmt in seinen Wohnwagen.
Große Augen und Schluckauf
Im Bestreben, allen zu helfen – und nebenbei eine „Story“aufzudecken, von der nicht einmal ihr selbst ganz klar ist, worin diese besteht –, geht Ashleigh auf jede Einladung ein. Die Tochter aus reichem Hause, der offenbar immer alles zugeflogen ist, scheint nie gelernt zu haben, dass sie auch aus eigenem Antrieb handeln könnte. Stattdessen lässt sie sich treiben, wirkt dabei aber nicht frei, sondern völlig fremdgesteuert. Und freut sich über die Aufmerksamkeit, die ihr die einflussreichen Männer schenken.
So sehr Allen diese jämmerlichen FilmMachos parodiert, so wenig scheint er sich aber für seine weibliche Protagonistin zu interessieren. Er lässt Ashleigh nur große Augen machen und Schluckauf kriegen, ihr Charakter bleibt flach. Selbst identifiziert er sich, das sagte er auch in Interviews, mit dem genialen, aber unsicheren Regisseur, der ständig fürchtet, sein Werk könnte seinen großen Visionen nicht gerecht werden.
Welche Vision Allen für „A Rainy Day in New York“wohl hatte? Am ehesten vermutlich, wieder einmal selbstironisch die (eingebildeten) Nöte privilegierter Stadtbewohner aufzuzeigen. Chalamet spielt überzeugend den wohlstandsverwöhnten Gatsby, der lieber in ein Nobelhotel eincheckt, als seinen Upper-East-Side-Eltern zu sagen, dass er in der Stadt ist und auf ihre langweilige Fundraising-Party gehen zu müssen. Er wirkt im heutigen New York wie aus der Zeit gefallen, ein durch den Tag gleitender Träumer, der Tweed trägt, in Pianobars rumhängt, von schwarz-weißen Filmklassikern schwärmt und gemeinsam mit einer alten Bekannten (Selena Gomez) über den „fabulösen Eskapismus“ihrer Eltern ablästert.
Sonst passiert nicht viel in diesem Film. Die Story plätschert dahin wie der stetige
Regen in der Stadt, deren graue Tristesse als romantisch verklärt wird. Menschen verpassen sich, treffen zu ungünstigen Zeiten aufeinander, es wird gejammert und geschmachtet, dazwischen hört man jazzige Klaviertöne. Woody Allen setzt auf seine angestammten Themen – Nostalgie, neurotische Großstädter, eloquentes Geflirte – und fügt ihnen nichts besonders Originelles hinzu. Was mit den Figuren passiert, ist dem Zuschauer bald ziemlich egal.
Nein, dem US-Publikum entgeht nicht viel – nur das uninspiriert wirkende Alterswerk eines erschöpften Regisseurs.