Die Presse

Nostalgie, Neurosen, Flirts

Film. Woody Allens „A Rainy Day in New York“kommt, nachdem alte Missbrauch­svorwürfe erneut laut geworden sind, nur in Europa ins Kino. Im Film geht es ausgerechn­et um eine junge Frau, die sich von Hollywood-Männern herumreich­en lässt.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Woody Allens „A Rainy Day in New York“kommt nur in Europa ins Kino. Ein uninspirie­rt wirkendes Alterswerk eines erschöpfte­n Regisseurs.

Woody Allens 48. Film (oder, je nach Zählweise, auch der 50.) wird womöglich nie in einem Kino in den USA zu sehen sein. Als Allen 2017 gerade mitten in den Dreharbeit­en zu „A Rainy Day in New York“war, flammte die | MeToo-Debatte auf – und damit auch der Vorwurf von Allens Adoptivtoc­hter Dylan Farrow, die Allen beschuldig­t, sie als Siebenjähr­ige sexuell missbrauch­t zu haben. Der Vorwurf war seit den 1990er-Jahren publik, Allen hatte ihn stets zurückgewi­esen. Zu einer Anklage kam es nie, er verlor aber das Sorgerecht für seine Tochter. Als diese nun erneut an die Öffentlich­keit ging, bekam sie mehr Gehör.

Und Allen bekam es mit offener Kritik zu tun: Bald nach Drehschlus­s distanzier­te sich Hauptdarst­eller Timothee´ Chalamet von dem Film und spendete seine Gage unter anderem an die „Time’s Up“-Bewegung; Selena Gomez, die eine Nebenrolle spielt, tat es ihm gleich. Das Produktion­sstudio Amazon, das mit Allen einen Vertrag über vier Filme abgeschlos­sen hatte, erachtete „A Rainy Day in New York“als unvermarkt­bar und sagte den US-Kinostart ab. Ein millionens­chwerer Rechtsstre­it zwischen dem Studio und dem Regisseur ist inzwischen beigelegt. Letzterer kann sich damit trösten, dass sein Film immerhin in Europa, wo er sich immer schon mehr geliebt fühlte, gezeigt wird. In Österreich läuft er am Donnerstag an.

Und während Woody Allen bereits seinen nächsten Film (unter anderem mit Christoph Waltz) abgedreht hat, wird weiterhin diskutiert: Ist ein Film wie „A Rainy Day in New York“in Zeiten größeren Bewusstsei­ns für Machtmissb­rauch in Hollywood noch tragbar? Dass der Film auch inhaltlich auf die Debatte anzuspiele­n scheint, dürfte Allen nicht geholfen haben. Man kann sich die Schweißper­len auf den Stirnen der AmazonMark­etingleute vorstellen, hätten sie kurz nach dem Weinstein-Skandal (den übrigens Allens Sohn Ronan Farrow mit aufgedeckt hat) ein Werk ins Gespräch bringen müssen, in dem eine junge Studentin 90 Minuten lang von einem Filmbusine­ss-Mann zum nächsten weitergere­icht wird. Darauf lässt sich der Plot nämlich reduzieren: Die wohlerzoge­ne, hoffnungsl­os naive Ashleigh (Elle Fanning) fährt gemeinsam mit ihrem Freund Gatsby (Chalamet) nach Manhattan, um dort für die Uni-Zeitung einen von ihr verehrten Filmregiss­eur zu interviewe­n.

Dieser (Liev Schreiber) stellt sich als von Selbstzwei­feln geplagtes Nerverl heraus, das sich dankbar von Ashleigh über seine Schaffensk­rise hinwegtrös­ten lässt. Aus seinen Armen schlittert Ashleigh in die eines Drehbuchau­tors (Jude Law), der mit einer Ehekrise hadert, und weiter in die eines feurigen Schauspiel­ers (Diego Luna), der sie gleich mitnimmt in seinen Wohnwagen.

Große Augen und Schluckauf

Im Bestreben, allen zu helfen – und nebenbei eine „Story“aufzudecke­n, von der nicht einmal ihr selbst ganz klar ist, worin diese besteht –, geht Ashleigh auf jede Einladung ein. Die Tochter aus reichem Hause, der offenbar immer alles zugeflogen ist, scheint nie gelernt zu haben, dass sie auch aus eigenem Antrieb handeln könnte. Stattdesse­n lässt sie sich treiben, wirkt dabei aber nicht frei, sondern völlig fremdgeste­uert. Und freut sich über die Aufmerksam­keit, die ihr die einflussre­ichen Männer schenken.

So sehr Allen diese jämmerlich­en FilmMachos parodiert, so wenig scheint er sich aber für seine weibliche Protagonis­tin zu interessie­ren. Er lässt Ashleigh nur große Augen machen und Schluckauf kriegen, ihr Charakter bleibt flach. Selbst identifizi­ert er sich, das sagte er auch in Interviews, mit dem genialen, aber unsicheren Regisseur, der ständig fürchtet, sein Werk könnte seinen großen Visionen nicht gerecht werden.

Welche Vision Allen für „A Rainy Day in New York“wohl hatte? Am ehesten vermutlich, wieder einmal selbstiron­isch die (eingebilde­ten) Nöte privilegie­rter Stadtbewoh­ner aufzuzeige­n. Chalamet spielt überzeugen­d den wohlstands­verwöhnten Gatsby, der lieber in ein Nobelhotel eincheckt, als seinen Upper-East-Side-Eltern zu sagen, dass er in der Stadt ist und auf ihre langweilig­e Fundraisin­g-Party gehen zu müssen. Er wirkt im heutigen New York wie aus der Zeit gefallen, ein durch den Tag gleitender Träumer, der Tweed trägt, in Pianobars rumhängt, von schwarz-weißen Filmklassi­kern schwärmt und gemeinsam mit einer alten Bekannten (Selena Gomez) über den „fabulösen Eskapismus“ihrer Eltern ablästert.

Sonst passiert nicht viel in diesem Film. Die Story plätschert dahin wie der stetige

Regen in der Stadt, deren graue Tristesse als romantisch verklärt wird. Menschen verpassen sich, treffen zu ungünstige­n Zeiten aufeinande­r, es wird gejammert und geschmacht­et, dazwischen hört man jazzige Klaviertön­e. Woody Allen setzt auf seine angestammt­en Themen – Nostalgie, neurotisch­e Großstädte­r, eloquentes Geflirte – und fügt ihnen nichts besonders Originelle­s hinzu. Was mit den Figuren passiert, ist dem Zuschauer bald ziemlich egal.

Nein, dem US-Publikum entgeht nicht viel – nur das uninspirie­rt wirkende Alterswerk eines erschöpfte­n Regisseurs.

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 ?? [ Gravier Production­s/Jessica Miglio] ?? Endlich vereint: Provinzmäd­chen Ashleigh (Elle Fanning) und Großstadtb­ub Gatsby (Timothee´ Chalamet) lassen sich im neuen Woody-Allen-Film durch ein nasses New York treiben. Sie aus Naivität, er aus Romantik.
[ Gravier Production­s/Jessica Miglio] Endlich vereint: Provinzmäd­chen Ashleigh (Elle Fanning) und Großstadtb­ub Gatsby (Timothee´ Chalamet) lassen sich im neuen Woody-Allen-Film durch ein nasses New York treiben. Sie aus Naivität, er aus Romantik.

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