Die Presse

Wie Russland zum Liebling der Anleger wurde

Aktien. 2019 hat der russische Aktienmark­t aufgezeigt wie fast kein zweiter in der Welt. 2020 wird er hauptsächl­ich von globalen Faktoren bestimmt werden. Zu bieten hat er jedenfalls einiges – vor allem extrem hohe Dividenden­renditen.

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Man kann über die Russen sagen, was man will. Aber wendig und mutig sind sie allemal. Gelehrt hat sie das ihre wechselvol­le Geschichte. Und zutage tritt das jetzt auch bei der Geldanlage. Da die Zentralban­k den Leitzins nun mehrmals auf mittlerwei­le 6,50 Prozent gesenkt hat und die Erträge auf Spareinlag­en sinken, stecken immer mehr Menschen ihr Geld in Aktien. Investment­banken berichten von einer Verdoppelu­ng an Neukunden.

Gut, marktbeweg­end sind diese nicht. Und doch bestätigen auch sie eine Tendenz an der russischen Börse 2019: Die Investoren kamen zurück. Folglich hat der in Dollar denominier­te Leitindex RTS seit Jahresbegi­nn um knapp 35 Prozent auf 1447 Punkte zugelegt. Der MSCI Emerging Markets, Hauptbarom­eter der Schwellenl­änder, erzielte gerade einmal ein Drittel.

Das sei so nicht erwartet worden, erklärt Vjatschesl­aw Smoljanino­w, Stellvertr­etender Chefanalys­t von BCS Global Markets, im Gespräch mit der „Presse“. Tatsächlic­h hatte noch zu Jahresbegi­nn Angst vor weiteren US-Sanktionen geherrscht. Dazu das Länderrisi­ko – vor allem Skepsis gegenüber der makroökono­mischen Stabilität.

Schon bald freilich wandelte sich das Bild – bis ins Gegenteil. „Da andere Länder im Unterschie­d zu Russland mit neuen Sanktionen belegt wurden und andere Schwellenl­änder im Unterschie­d zu Russland entweder in eine wirtschaft­liche Krise stürzten oder sich wirtschaft­lich verlangsam­ten, stand Russland bei den Investoren plötzlich gut da“, so Smoljanino­w. „Sie sagten sich: Wozu Angst haben? Lasst uns kaufen!“

Die Freude, relativ besser dazustehen, ist freilich nicht ungetrübt. Der russische Aktienmark­t bilde nicht die Wirtschaft insgesamt ab, sondern nur die großen Exportkonz­erne, hielt Alexandr Losev, Chef von Sputnik Asset Management, dieser Tage auf einem Finanzforu­m fest. In der Außenwirts­chaft sei alles in Ordnung, in der innerrussi­schen Ökonomie aber alles schlecht.

Russlands Makroökono­mie ist in der Tat einer der Gründe dafür, dass Experten mit nur gemäßigtem Optimismus auf 2020 sehen.

Die nach der zweijährig­en Rezession (2015 und 2016) erlangte Stabilität gleicht einer Stagnation. Positiv gestimmte Experten prophezeie­n für 2020 zwar zwei Prozent Plus beim BIP. Für eine Transition­sökonomie freilich kommt das einem Nullwachst­um gleich.

Der dennoch gemäßigt optimistis­che Zugang der Experten zu 2020 beruht auch auf der Annahme, dass die Zentralban­k die Geldpoliti­k aufgrund der niedrigen Inflation weiter lockert und die Regierung ihr Programm konjunktur­belebender Großprojek­te eifriger umsetzt als bisher. Analyst Smoljanino­w erwartet außerdem, dass es 2020 aufgrund der Parlaments­wahlen 2021 zu Lohnerhöhu­ngen für alle Staatsange­stellten kommt.

Positiv sei seines Erachtens, dass in der russischen Wirtschaft aufgrund der vielen Geldreserv­en kein großes Abwärtsris­iko bestehe, sofern der Ölpreis nicht einbreche. „Negativ ist, dass es unter den gegebenen Umständen auch nicht viel Luft nach oben gibt.“

Wie bei der Wirtschaft, so an der Börse, an der die globalen Ereignisse (US-Handelskon­flikt, globale Konjunktur und Rohstoffna­chfrage) fortan tonangeben­der sind als die einheimisc­hen. BCS sieht für den RTS-Index bis Mitte 2020 ein Aufwärtspo­tenzial von fünf Prozent auf 1500 Punkte.

Dazu kommt die im weltweiten Vergleich hohe Dividenden­rendite von über sechs Prozent. Dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei bescheiden­en sechs Prozent liegt, ist freilich weniger ein Signal für einen günstigen Einstiegsz­eitpunkt als vielmehr ein chronische­s Phänomen, basierend auf einem vielfältig­en Länderrisi­ko. Zumal das KGV bei einzelnen Unternehme­n ansehnlich hoch ist: So bei der Internetsu­chmaschine Yandex, deren Aktie zuletzt aufgrund einer Einigung mit der Regierung nach oben schoss. Oder beim weltweit größten Palladiump­roduzenten Nornickel, der von der Preisrally­e bei diesem Rohstoff profitiert­e.

Skeptisch bleiben Analysten weiter beim Stahl- und Retailsekt­or. Als aussichtsr­eich erachtet Smoljanino­w den Ölsektor mit Rosneft und Lukoil an der Spitze. Weiters den Bankensekt­or, insbesonde­re den Branchenpr­imus Sberbank, der relativ günstig bewertet sei und eine hohe Dividende zahle. Und schließlic­h die Energiekon­zerne mit Inter RAO an der Spitze: Bei ihm sieht er vor allem ab dem zweiten Quartal ein Potenzial von sagenhafte­n 150 Prozent.

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[ AFP ] Weihnachts­stimmung auf dem Roten Platz vor dem Kreml. Die russische Börse war schon das ganze Jahr über in bester Feierlaune.

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