Der Kinnhaken: Emotion und Glorie oder Geld?
Boxen. Anthony Joshua ist wieder Schwergewichtsweltmeister der Verbände WBO, WBA, IBF und IBO. Jetzt erwartet die Szene den sündhaft teuren Wiedervereinigungs-Fight. Der Gegner wäre Deontay Wilder (USA) oder Tyson Fury.
Anthony Joshua feierte im Konfettiregen des Rings, der umstrittene saudische Kronprinz, Mohammed bin Salman, applaudierte dem neuen Schwergewichtsweltmeister aus der VIPLoge und der in einem relativ einseitigen Fight als Champion abgelöste Andy Ruiz Jr. forderte prompte einen dritten Kampf gegen den Briten – Boxen ist doch so berechenbar. Es läuft nach einem Drehbuch, das Storytelling fußt auf Gut gegen Böse oder geläuterten Rückkehrer. Und alle werden fürstlich entlohnt.
Die Atmosphäre nach dem einseitigen „Kampf auf den Dünen“wirkte wie die zwölf Runden davor: kühl, kalkuliert, ja inszeniert. Joshua sprach einstudierte PR-Phrasen, ließ sich fotografieren, posierte artig mit dem Scheich. Der Brite erhielt dem Vernehmen nach um die 70 Millionen Euro für den Auftritt vor den Toren von Saudiarabiens Hauptstadt Riad. Immerhin saßen viele Frauen im Publikum, teilweise ohne
Kopfbedeckung Seite an Seite mit den Männern. Bis vor Kurzem wäre das in dem Königreich noch undenkbar gewesen. Kritiker wettern dennoch, es sei ein Fehler gewesen, eine Box-WM in einem Land auszutragen, das Probleme mit Menschenrechten hat.
Auch die Verfassung von Ruiz irritierte. Der Kalifornier war behäbig, uninspiriert und meilenweit von der Form entfernt, die ihn Anfang Juni im Madison Square
Garden zum Weltmeister gemacht hatte. Joshua fehlte, wie erwartet, weiter der nötige Punch, um den 128 Kilogramm schweren „Klops“auszuknocken. Daher musste er die volle Distanz, zwölf Runden lang, durchhalten mit seiner Sicherheitstaktik aus der Distanz, die Infights unmöglich machte. Ruiz gestand später ein, dass der plötzliche Erfolg zu viel gewesen sei. Der 30-Jährige könne „nicht sagen, dass drei Monate Party spurlos an mir vorüber gegangen“wären. Autos, Anwesen,
Schmuck, Partys – Luxus und Protz, Boxer ändern sich nie. Dass es einen dritten Teil zwischen Joshua und Ruiz geben wird, ist allerdings unwahrscheinlich.
Denn der Brite hat Großes vor. Er will ein Weltstar sein, wie sei Vorbild Muhammad Ali. Deshalb will der Champion der Verbände WBO, WBA, IBF und IBO sich am liebsten sofort den WBC-Gürtel vom Amerikaner Deontay Wilder holen. Champion aller Verbände, die unangefochtene Nummer eins der Welt – das war zuletzt sein Landsmann Lennox Lewis im Jahr 2000. Damit die emotionale Komponente vor dem Kinnhaken stimmt, muss es ein Spektakel sein – entweder in Las Vegas oder in Londons Wembley-Stadion vor 90.000 Zuschauern. Der Ort entscheidet sich im Frühjahr 2020, dann boxt Wilder gegen Tyson Fury. Geht es tatsächlich nur um Geld, lässt sich der Scheich den Fight nicht nehmen. (fin)