Die Presse

Es ist schade um diesen Peer Gynt

Volkstheat­er. Das hätte etwas werden können! Ibsens „Peer Gynt“beginnt stark, sehr stark. Aber dann hat Regisseur Viktor Bodo´ der Mut verlassen – oder das Vertrauen in den Text.

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Es ist natürlich ein gefährlich­es Stück, und viele Regisseure sind an ihm gescheiter­t. Wie geht man so etwas an? Ein dramatisch­es Gedicht rund um Schuld und Hoffnung, gern als „nordischer Faust“gepriesen, obwohl „Peer Gynt“mit Goethes Werk nur sehr begrenzt vergleichb­ar ist: Viel ungehobelt­er ist es, irrlichter­nd, roher die Verse, und im Mittelpunk­t steht ein brutaler Träumer, ein Tunichtgut ohne Werte, der gen Himmel stürmt und auf der Erde landet, der Lügen auftischt, die so schön sind, dass man sie glauben möchte. Ja, der Mensch wünscht und strebt, und was er da anrichtet, in all seinem Wünschen und Streben, redet er sich gern schön. Das ist Peer Gynt, der große Sünder. Das sind wir, auch wenn wir uns gern anders sehen – und uns eher ein Eigenheim ersehnen als ein Königreich.

Der erste Kunstgriff des Abends: Peer Gynt gibt es diesmal im Dreierpakt, in Alt, in Mittel und in Jung, wobei oft alle gleichzeit­ig auf der Bühne stehen, so kommt Dynamik ins Spiel, wo Ibsen Monologe vorsieht. Am berückends­ten und kraftvolls­ten: Nils Hohenhövel. Wie er uns von seinem Ritt auf dem Bock erzählt, den schmalen Grat entlang, links und rechts der Abgrund, und dann der Fall, der tiefe Fall! So gewaltig sind diese Worte, aber eben doch nicht wahr: Alles Schwindel, befindet die alte Mutter (Steffi Krautz), sie kennt die Geschichte ja schon, ein anderer aus dem Dorf hat sie erlebt.

Die Beziehung zur Mutter, Viktor Bodo´ hat sie liebevoll herausgear­beitet: Sie vergöttert ihren Träumer und verzweifel­t an ihm, klagt ihn an und kann ihm doch nichts vorwerfen: „Oh, du bist nicht schuld! Das war der Schnaps!“Und als sie in seinen Armen stirbt – nachdem er endlich, endlich heimgekehr­t ist! –, ist das die mit Abstand berührends­te Szene des Abends.

Der zweite Kunstgriff: ein Bühnenbild aus Licht und Schatten. Raffiniert verschiebb­are Wände dienen als Projektion­sflächen. Die Farben: schwarz und weiß. Ein paar Requisiten müssen reichen. Das lässt Raum für Ausflüge ins Surreale und Expressive, da rollen dunkle Kugeln von links nach rechts, da schieben sich die Wände zusammen und die Braut, kurz nach der Hochzeit von Peer Gynt verführt und mit ach so bösen Worten wieder weggeschic­kt, wird von ihnen fast erdrückt. Die Schauspiel­er stolpern immer wieder über die gleiche Stelle, und man weiß nicht, worüber. Soll da eine Wurzel sein, ein Spalt, eine Stufe? Das ist hohe Kunst, Regiekunst, Schauspiel­kunst, wie am Beginn des Abends Bewegung, Musik, Licht und Text zusammensp­ielen – da verzeiht man noch, dass nicht jede Zeile zu verstehen ist.

Dann geht aber auch schon so einiges schief: Die surrealen Einsprengs­el, mit denen Bodo´ anfangs noch sparsam umgeht – sie nehmen überhand. Da rollt eine Kugel zu viel, da wird die Stolperei zum Slapstick, der Besuch bei den Trollen artet zur Millionens­how aus, dann gründen die drei Peers eine Band, und bald ist die Grenze zur Witzelei überschrit­ten. Von dort findet die Aufführung nicht mehr zurück.

Wo bleibt, bitte, die Liebe? Was ist mit Solvejg? Und warum nur, warum, muss Bodo´ zum mittlerwei­le wohl abgeschmac­ktesten Theatermit­tel der Moderne greifen, dem Spiel im Spiel? Was soll es uns sagen, wenn zwei Schauspiel­er die Szene stürmen, um sich sich sogleich zu entschuldi­gen, dass sie eine Szene stören, was sie hiermit tun? Wer heute noch den Pirandello gibt, der sollte wissen, was er damit bezweckt. Und das ist dann hoffentlic­h mehr als die Belustigun­g und Zerstreuun­g des Publikums.

Das Ende hat Viktor Bodo´ umgedichte­t, wie er ja überhaupt höchst freizügig mit dem Text umgeht. Aber das passt. Sein Held wird nicht im allerletzt­en Moment gerettet, er wird verderben. Wobei: Nicht das Sterben ist es, das Peer Gynt schreckt. Sondern dass der Tod ihn, den Einzigarti­gen, gleichmach­t mit allen anderen. Dieses großartige Ich, es wird ausgelösch­t! Die drei laufen davon, sie rennen und rennen und kommen doch kaum vom Fleck, und am Ende stehen sie vor einer Wand. Das ist ein schrecklic­her und schöner und zeitgemäße­r Schluss, vielleicht mit ein bisschen gar viel Nebel. Er wäre noch schrecklic­her und schöner gewesen, hätte Bodo´ uns vorher nicht auf Klamauk eingeschwo­ren.

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