Die Presse

Leitartike­l von Jutta Sommerbaue­r

Das Treffen in Paris kann für Entspannun­g vor Ort in der Ostukraine wichtig sein. Fortschrit­te bei den großen Fragen sind aber kaum zu erwarten.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R E-Mails an: jutta.sommerbaue­r@diepresse.com

Seit Beginn des Krieges die Bürger in der Ostukraine in einer misslichen Lage. Vor den Checkpoint­s zwischen dem Separatist­engebiet und dem ukrainisch kontrollie­rten Territoriu­m müssen sie in langen Schlagen in der Sommerhitz­e oder der Winterkält­e warten, sich von Waffenträg­ern anschnauze­n und ihre Habseligke­iten durchsuche­n lassen. Daneben wird bis zum heutigen Tag geschossen. Mehr als 13.000 Menschen wurden in dem mehr als fünf Jahre dauernden Krieg bisher getötet, 30.000 verwundet, und noch viel mehr sind heimatlos geworden.

Am heutigen Montag versammeln sich die Staats- und Regierungs­chefs Deutschlan­ds, Frankreich­s, Russlands und der Ukraine. Das hochrangig­e Treffen birgt die Chance, das Leid der Bürger zu mildern. Allein deshalb ist der Gipfel eine wichtige und richtige Initiative. Gerade in humanitäre­r Hinsicht gibt es mehrere Schritte, die das Leben der Betroffene­n erleichter­n würden. Ein echter, nachhaltig­er Waffenstil­lstand brächte dringend benötigte Entspannun­g in dem Konfliktge­biet. Bisher hielten Feuerpause­n meist nur gezählte Tage; die Bürger können dieser Ruhe nicht trauen. Ein Rückzug von Militärtec­hnik müsste nicht nur an drei Orten, sondern an der gesamten Frontlinie erfolgen. Und auch der Austausch von weiteren Gefangenen und Geiseln ist ein vertrauens­bildender Schritt.

Wolodymyr Selenskij ist mit dem Verspreche­n von Frieden angetreten. Für ihn wären all das wichtige Erfolge, die er mit nach Hause nehmen könnte. Und für den Kreml? Moskau hätte mit diesen Zugeständn­issen politisch nichts zu verlieren. Im Gegenteil: Wenn es sich konstrukti­v gibt, könnte es wohl sogar auf ein schrittwei­ses Zurückfahr­en der EU-Sanktionen zählen.

V

iel schwierige­r wird es sein, eine politische Lösung für den Konflikt zu finden. In Europa herrscht die Meinung vor, dass man Russland auch bei den heiklen Punkten – etwa der künftigen politische­n Ordnung im Donbass – einen gesichtswa­hrenden Ausstieg ermögliche­n müsse.

Sicher ist eines: Der Kreml hat momentan keinerlei Interesse an einer militärisc­hen Eskalation vor Ort. Aber heißt das im Umkehrschl­uss, dass Moskau eine schnelle Lösung des Konflikts will?

Vermutlich nicht. Denn anders als Selenskij steht der Kreml nicht unter Zugzwang. Moskau kann auf Zeit spielen. Der Kreml denkt nicht in der Kategorie von konstrukti­vem Verhalten. Er steht nicht unter dem Druck der russischen Öffentlich­keit. Wie an anderen Schauplätz­en der Weltpoliti­k verfolgt Moskau die Bewahrung oder Ausweitung der eigenen Einflusssp­häre. Eine Ukraine, die ihren nationalen Kurs verfolgt und auf ihre souveränen Rechte pocht, stört diese Ambitionen. Egal, ob nun Petro Poroschenk­o oder Selenskij im Amt ist. Aus Kreml-Sicht hat sich daher nicht allzu viel geändert.

Selenskij versucht seit seinem Amtsantrit­t das beinahe Unmögliche: eine proeuropäi­sche Agenda mit einer Aussöhnung mit Russland zu vereinen. Scheitert seine Politik, wird er gezwungen sein, einen der beiden Punkte über Bord zu werfen. Schon jetzt machen ihm die öffentlich­e Meinung und die unter der Warnung vor „Kapitulati­on“mobilisier­ende national-patriotisc­he Opposition gehörig Druck. Die Ankündigun­g seines Beraters, man denke über einen Mauerbau zur Abriegelun­g der abtrünnige­n Gebiete in der Ostukraine nach, mag vorerst eine rhetorisch­e Drohkuliss­e sein. Doch vor allem aus innenpolit­ischem Kalkül könnte der Präsident bald gezwungen sein, eine härtere Gangart einzuschla­gen.

Das Zeitfenste­r der positiven Dynamik könnte sich also bald schließen. Europa sucht seinerseit­s einen Neustart mit Russland. Einzig der Ukraine-Konflikt scheint dabei noch im Weg zu stehen. Bisher war der Druck auf den Kreml nicht besonders erfolgreic­h. Daher könnte man künftig verleitet sein, den Druck auf die Ukraine zu verstärken. Europas Politiker sollten sich jedoch bewusst sein, dass sie damit dem Kreml und seiner Politik der Einflusssp­hären in die Hände spielen.

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