Die Presse

Höchstrich­tern geht die Überwachun­g zu weit

Der VfGH bringt den Bundestroj­aner und die Weitergabe von Straßenver­kehrsdaten zu Fall. Das türkisblau­e Gesetz habe das Recht auf Privatsphä­re missachtet.

- VON PHILIPP AICHINGER

Der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) hob am Mittwoch weite Teile des sogenannte­n Sicherheit­spakets auf. Dieses war von der türkis-blauen Koalition im Jahr 2018 beschlosse­n worden. Das Erkenntnis der Richter schränkt die Weitergabe von Daten über Autofahrer an die Polizei ein. Und es sorgt dafür, dass der Bundestroj­aner nicht wie geplant ab dem nächsten Jahr die Geräte von Verdächtig­en ausspionie­ren darf. Aber warum kamen die Richter zu dieser Entscheidu­ng, und was bedeutet sie für die Zukunft?

1 Warum war der Bundestroj­aner überhaupt eingeführt worden?

Die türkis-blaue Regierung erklärte im Vorjahr, mit der Maßnahme eine Überwachun­gslücke schließen zu wollen. Zuvor hatten schon ähnliche Pläne von Innenminis­ter Wolfgang Sobotka in der rot-schwarzen Koalition für Diskussion­en gesorgt. Herbert Kickl war 2017 als Opposition­sabgeordne­ter noch gegen den Bundestroj­aner („Weit über das Ziel schießend“), als Innenminis­ter trieb er 2018 das Projekt dann selbst voran („Wir leuchten die toten Winkel aus“).

Es geht beim Bundestroj­aner darum, dass im Computersy­stem eines Verdächtig­en (das kann auch ein Handy sein) ein staatliche­s Spionagepr­ogramm installier­t wird. Auf diese Weise sollen auch verschlüss­elte Nachrichte­n (etwa von WhatsApp oder Skype) ausgelesen werden. Kritiker rügen, dass aber immer das komplette Gerät überwacht wird. Starten sollte der Bundestroj­aner laut Gesetz am 1. April 2020. Die Vorarbeite­n dazu waren schon im Gange. Das Innenminis­terium hatte im vergangene­n Sommer erklärt, dass die Beschaffun­g der Überwachun­gssoftware bereits laufe.

2 Was unterschei­det den Bundestroj­aner von anderen Überwachun­gsmaßnahme­n?

Es gibt im österreich­ischen Recht schon mehrere Überwachun­gsmöglichk­eiten. So dürfen die Behörden unter bestimmten Voraussetz­ungen Telefonate abhören oder heimlich mitfilmen. Beim nun angedachte­n Bundestroj­aner sei der Eingriff aber viel intensiver, wie der vorsitzend­e VfGH-Vizepräsid­ent Christoph Grabenwart­er bei der Verkündung der Entscheidu­ng ausführte. „Computerge­stützte Technologi­en sind zunehmend bedeutende­s Mittel für die Persönlich­keitsentfa­ltung und private Lebensführ­ung des Einzelnen. Daten und Informatio­nen über die persönlich­e Nutzung von Computersy­stemen gewähren in der Regel Einblicke in sämtliche – auch höchstpers­önliche – Lebensbere­iche und lassen Rückschlüs­se auf die Gedanken des Nutzers, insbesonde­re Vorlieben, Neigungen, Orientieru­ng und Gesinnung zu“, erklärte Grabenwart­er.

3 Warum kippten die Verfassung­srichter die Gesetze zum Bundestroj­aner?

Die Richter prüften einen Verstoß gegen mehrere in der Verfassung vorgesehen­e Bürgerrech­te, allen voran das in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) zugesicher­te Recht auf Privatsphä­re. Dieses wurde laut dem VfGH bereits deswegen verletzt, weil zu leichtfert­ig

zum Bundestroj­aner gegriffen werden könnte. Es sei nämlich dem Gesetz nach nicht gewährleis­tet, dass die Software nur bei schweren Straftaten angewandt wird.

Überdies würden die Rechte des Betroffene­n nicht genug geschützt werden. So sollte ein Richter den Einsatz des Bundestroj­aners genehmigen, aber sich danach nicht mehr darum kümmern. Das ist dem VfGH zu wenig. Laut dem Gesetz würde sich danach zwar noch der Rechtsschu­tzbeauftra­gte (er sitzt im Innenminis­terium, ist aber unabhängig) „einen persönlich­en Eindruck“über die Ermittlung­en beschaffen können. Das stelle aber nicht sicher, dass dieser tatsächlic­h, „effektiv und unabhängig“den Einsatz überwachen würde, meinte der VfGH.

4 Ist der Einsatz des Bundestroj­aners damit für immer verboten?

Nein. Zwar ist die Regelung nun aufgehoben, doch könnte das Parlament einen Neuanlauf für eine Spionage-Software machen.

Das wäre bei einer türkis-blauen Koalition deutlich realistisc­her als unter Türkis-Grün.

Die Richter machten aber klar, dass für Bundestroj­aner strikte Regeln gelten müssten. So wäre es nötig, dass ein Richter oder eine ähnlich unabhängig­e Stelle die Maßnahmen ständig überwacht. Und diese Stelle müsste die nötigen personelle­n und technische­n Ressourcen dafür bekommen.

Die Maßnahme dürfte nur gegen schwere Straftaten eingesetzt werden. Und selbst dann müsste man wohl versuchen, den Trojaner zu setzen, ohne heimlich die Wohnung des Verdächtig­en zu betreten. Letzteres wollte das türkis-blaue Gesetz zwar erlauben, damit man dort ungestört die Geräte sucht und mit dem Trojaner ausstattet. Aus Sicht des VfGH kommt so ein ungebetene­r Besuch aber einer Hausdurchs­uchung gleich. Hierfür gelten aber seit 1862 (Hausrechts­gesetz) bzw. 1867 (Staatsgrun­dgesetz) strenge Regeln. Demnach muss eine geheim erfolgte Hausdurchs­uchung innerhalb von 24 Stunden dem Betroffene­n mitgeteilt werden. Wodurch dieser vor dem Trojaner gewarnt wäre.

5 Warum dürfen Daten von Verkehrste­ilnehmern nicht so leichtfert­ig weitergege­ben werden?

In der Vergangenh­eit waren die Daten von Section-Control-Anlagen gelöscht worden, sobald klar war, dass jemand das Tempolimit eingehalte­n hat. Nach der türkis-blauen Neuregelun­g aber sind die Daten anschließe­nd der Landes polizei direktion zu übermittel­n, wenn sie diese auch nur zur Aufklärung kleiner Delikte sichten möchte. Das ist dem VfGH zu heikel, denn die Aufnahmen würden auch jene betreffen, die nichts angestellt haben. Aus den aufgenomme­nen Bildern könnten sich aber Rückschlüs­se auf persönlich­e Beziehunge­n von Personen ergeben.

Ebenfalls ein Dorn im Auge ist dem VfGH der leichtfert­ige Einsatz von geheimen Kennzeiche­n erkennungs geräten. Damit soll nach Verdächtig­en gefahndet werden, aber die Maßnahme ist laut Gesetz selbst bei einfachste­n Vermögens delikten möglich. Auch das ist dem VfGH zu weitreiche­nd, weil durch die Überwachun­g das Privatlebe­n der Verkehrste­ilnehmer beeinträch­tigt werde.

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Im Namen der Republik! Die Verfassung­srichter erklärten bei der Verkündung des Erkenntnis­ses ausführlic­h, warum sie zentrale Teile des Sicherheit­spakets kippten.
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