Höchstrichtern geht die Überwachung zu weit
Der VfGH bringt den Bundestrojaner und die Weitergabe von Straßenverkehrsdaten zu Fall. Das türkisblaue Gesetz habe das Recht auf Privatsphäre missachtet.
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob am Mittwoch weite Teile des sogenannten Sicherheitspakets auf. Dieses war von der türkis-blauen Koalition im Jahr 2018 beschlossen worden. Das Erkenntnis der Richter schränkt die Weitergabe von Daten über Autofahrer an die Polizei ein. Und es sorgt dafür, dass der Bundestrojaner nicht wie geplant ab dem nächsten Jahr die Geräte von Verdächtigen ausspionieren darf. Aber warum kamen die Richter zu dieser Entscheidung, und was bedeutet sie für die Zukunft?
1 Warum war der Bundestrojaner überhaupt eingeführt worden?
Die türkis-blaue Regierung erklärte im Vorjahr, mit der Maßnahme eine Überwachungslücke schließen zu wollen. Zuvor hatten schon ähnliche Pläne von Innenminister Wolfgang Sobotka in der rot-schwarzen Koalition für Diskussionen gesorgt. Herbert Kickl war 2017 als Oppositionsabgeordneter noch gegen den Bundestrojaner („Weit über das Ziel schießend“), als Innenminister trieb er 2018 das Projekt dann selbst voran („Wir leuchten die toten Winkel aus“).
Es geht beim Bundestrojaner darum, dass im Computersystem eines Verdächtigen (das kann auch ein Handy sein) ein staatliches Spionageprogramm installiert wird. Auf diese Weise sollen auch verschlüsselte Nachrichten (etwa von WhatsApp oder Skype) ausgelesen werden. Kritiker rügen, dass aber immer das komplette Gerät überwacht wird. Starten sollte der Bundestrojaner laut Gesetz am 1. April 2020. Die Vorarbeiten dazu waren schon im Gange. Das Innenministerium hatte im vergangenen Sommer erklärt, dass die Beschaffung der Überwachungssoftware bereits laufe.
2 Was unterscheidet den Bundestrojaner von anderen Überwachungsmaßnahmen?
Es gibt im österreichischen Recht schon mehrere Überwachungsmöglichkeiten. So dürfen die Behörden unter bestimmten Voraussetzungen Telefonate abhören oder heimlich mitfilmen. Beim nun angedachten Bundestrojaner sei der Eingriff aber viel intensiver, wie der vorsitzende VfGH-Vizepräsident Christoph Grabenwarter bei der Verkündung der Entscheidung ausführte. „Computergestützte Technologien sind zunehmend bedeutendes Mittel für die Persönlichkeitsentfaltung und private Lebensführung des Einzelnen. Daten und Informationen über die persönliche Nutzung von Computersystemen gewähren in der Regel Einblicke in sämtliche – auch höchstpersönliche – Lebensbereiche und lassen Rückschlüsse auf die Gedanken des Nutzers, insbesondere Vorlieben, Neigungen, Orientierung und Gesinnung zu“, erklärte Grabenwarter.
3 Warum kippten die Verfassungsrichter die Gesetze zum Bundestrojaner?
Die Richter prüften einen Verstoß gegen mehrere in der Verfassung vorgesehene Bürgerrechte, allen voran das in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zugesicherte Recht auf Privatsphäre. Dieses wurde laut dem VfGH bereits deswegen verletzt, weil zu leichtfertig
zum Bundestrojaner gegriffen werden könnte. Es sei nämlich dem Gesetz nach nicht gewährleistet, dass die Software nur bei schweren Straftaten angewandt wird.
Überdies würden die Rechte des Betroffenen nicht genug geschützt werden. So sollte ein Richter den Einsatz des Bundestrojaners genehmigen, aber sich danach nicht mehr darum kümmern. Das ist dem VfGH zu wenig. Laut dem Gesetz würde sich danach zwar noch der Rechtsschutzbeauftragte (er sitzt im Innenministerium, ist aber unabhängig) „einen persönlichen Eindruck“über die Ermittlungen beschaffen können. Das stelle aber nicht sicher, dass dieser tatsächlich, „effektiv und unabhängig“den Einsatz überwachen würde, meinte der VfGH.
4 Ist der Einsatz des Bundestrojaners damit für immer verboten?
Nein. Zwar ist die Regelung nun aufgehoben, doch könnte das Parlament einen Neuanlauf für eine Spionage-Software machen.
Das wäre bei einer türkis-blauen Koalition deutlich realistischer als unter Türkis-Grün.
Die Richter machten aber klar, dass für Bundestrojaner strikte Regeln gelten müssten. So wäre es nötig, dass ein Richter oder eine ähnlich unabhängige Stelle die Maßnahmen ständig überwacht. Und diese Stelle müsste die nötigen personellen und technischen Ressourcen dafür bekommen.
Die Maßnahme dürfte nur gegen schwere Straftaten eingesetzt werden. Und selbst dann müsste man wohl versuchen, den Trojaner zu setzen, ohne heimlich die Wohnung des Verdächtigen zu betreten. Letzteres wollte das türkis-blaue Gesetz zwar erlauben, damit man dort ungestört die Geräte sucht und mit dem Trojaner ausstattet. Aus Sicht des VfGH kommt so ein ungebetener Besuch aber einer Hausdurchsuchung gleich. Hierfür gelten aber seit 1862 (Hausrechtsgesetz) bzw. 1867 (Staatsgrundgesetz) strenge Regeln. Demnach muss eine geheim erfolgte Hausdurchsuchung innerhalb von 24 Stunden dem Betroffenen mitgeteilt werden. Wodurch dieser vor dem Trojaner gewarnt wäre.
5 Warum dürfen Daten von Verkehrsteilnehmern nicht so leichtfertig weitergegeben werden?
In der Vergangenheit waren die Daten von Section-Control-Anlagen gelöscht worden, sobald klar war, dass jemand das Tempolimit eingehalten hat. Nach der türkis-blauen Neuregelung aber sind die Daten anschließend der Landes polizei direktion zu übermitteln, wenn sie diese auch nur zur Aufklärung kleiner Delikte sichten möchte. Das ist dem VfGH zu heikel, denn die Aufnahmen würden auch jene betreffen, die nichts angestellt haben. Aus den aufgenommenen Bildern könnten sich aber Rückschlüsse auf persönliche Beziehungen von Personen ergeben.
Ebenfalls ein Dorn im Auge ist dem VfGH der leichtfertige Einsatz von geheimen Kennzeichen erkennungs geräten. Damit soll nach Verdächtigen gefahndet werden, aber die Maßnahme ist laut Gesetz selbst bei einfachsten Vermögens delikten möglich. Auch das ist dem VfGH zu weitreichend, weil durch die Überwachung das Privatleben der Verkehrsteilnehmer beeinträchtigt werde.