Schickt Erdo˘gan Truppen nach Libyen?
Türkei. Präsident heizt Konflikt mit der EU über das östliche Mittelmeer an und knüpft an die Osmanen an.
Kurz vor dem EU-Gipfel sorgt Recep Tayyip Erdogan˘ für weiteren Konfliktstoff mit Europa. Der Präsident hatte die Europäer kürzlich mit einem Vertrag mit Libyen verärgert, der große Teile der Gewässer zu türkischem Gebiet erklärt und die Hoheitsbereiche der EU-Mitglieder Griechenland und Zypern ignoriert. Am Mittwoch warnte Ankara andere Staaten der Region davor, in dem von der Türkei beanspruchten Seegebiet nach Erdgas zu suchen. Außerdem deutete Erdogan˘ an, dass er trotz eines UN-Waffenembargos türkische Truppen nach Libyen entsenden werde.
Seine Mittelmeer-Initiativen unterstreichen den Anspruch der Türkei auf eine regionale Rolle weit über die eigenen Grenzen hinaus. In der Türkei bejubeln Anhänger des Präsidenten dies als Anknüpfung an die Machtpolitik des Osmanischen Reiches, das über Jahrhunderte die beherrschende Kraft im östlichen Mittelmeer war. Vom 16. bis zum 19. Jahrhundert gehörte das heutige Libyen zum Osmanenreich.
In Europa kommt dies nicht gut an. Griechenland und Zypern wollen beim EU-Gipfel erreichen, dass das türkische Verhalten von der EU klar verurteilt wird. Kommissionschefin Ursula von der Leyen erklärte, das türkische Vorgehen sei „inakzeptabel“. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von „großen Sorgen“.
Ankara zeigt sich unbeeindruckt. Außenminister Mevlüt Cavusoglu˘ drohte im regierungsnahen Fernsehsender A-Haber, die Türkei werde andere Länder daran hindern, in ihrem Hoheitsbereich nach Erdgas zu suchen. Erdogan˘ sagte dem staatlichen Fernsehsender TRT, das Abkommen mit Libyen gebe seinem Land das Recht, die Suche nach Erdgas erheblich auszuweiten. Zudem mache der Vertrag es anderen Staaten in der Region unmöglich,
Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer per Pipeline nach Europa zu bringen: Das von der Türkei beanspruchte Seegebiet sperrt die Route einer möglichen Pipeline wie ein Riegel.
Erdogan˘ wolle die EU zum Eingreifen zwingen, sagt Asli Aydintasbas von der europäischen Denkfabrik European Council on Foreign Affairs. Bisher habe sich Europa aus dem Streit im östlichen Mittelmeer herausgehalten. Doch Ankara strebe mit der EU entweder einen neuen Anlauf zur Lösung des Zypernproblems oder Verhandlungen über die Aufteilung der Gasressourcen in der Region an.
Die Türkei fühlt sich seit Langem von einer regionalen Initiative zur Ausbeutung der großen Gasvorräte im östlichen Mittelmeer ausgeschlossen. Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel – allesamt Staaten mit einem schwierigen Verhältnis zur Türkei – haben sich bei der Förderung und dem Export zusammengetan. Ankara versteht sich als Schutzmacht der türkischen Minderheit auf der geteilten Insel Zypern und beansprucht deshalb eine Teilhabe. Weil die anderen Staaten das ablehnen, hat die Türkei mit der eigenen Suche nach Gas begonnen.
Mit der Andeutung einer Truppenentsendung nach Libyen geht Erdogan˘ nun noch einen Schritt weiter. Fayiz as-Sarradsch, der Ministerpräsident der international anerkannten Regierung von Libyen, will türkische Militärhilfe, um seinen Gegner, den von Russland unterstützten General Chalifa Haftar, an der Einnahme der Hauptstadt Tripolis zu hindern. Trotz eines UN-Waffenembargos liefert die Türkei unter anderem Drohnen und Militärfahrzeuge. Eine Entsendung türkischer Kampftruppen käme einer weiteren Eskalation gleich.
Erdogan˘ riskiert neue Spannungen mit Russland. Eine Konfrontation mit Moskau in Libyen dürfte das harmonische Verhältnis zu Wladimir Putin stören.