Das Spektakel und seine Kehrseiten
Das Fazit des so lange herbeigesehnten Champions-League-Gastspiels von Red Bull Salzburg: Ungeahnte Höhen, eine hartnäckige Baustelle und Prüfsteine für die Klubphilosophie.
Jesse Marsch sparte zuletzt nicht mit Lobeshymnen an seine Truppe. Wille, Einsatz, Teamgeist – das Übliche halt. Bemerkenswerter war da schon die Aussage des SalzburgTrainers, dass seine Mannschaft in diesem Champions-League-Herbst einen neuen spielerischen Standard gesetzt hätte. Denn Marsch hat recht. Wie Red Bull Salzburg an der Anfield Road binnen 20 Minuten drei Tore schoss, wie man dem italienischen Vizemeister Napoli Paroli bot, wie gnadenlos mit Genk verfahren wurde und wie Erling Haaland und Co. nun auch den Showdown gegen Premier-LeagueSpitzenreiter Liverpool eine Stunde lang offenhielten – ja, das war ein neuer Level im österreichischen Klubfußball (das mit immerhin vier Österreichern in der Stammelf erreicht wurde).
Warum es am Ende doch klar nicht für den Aufstieg gereicht hat, ist schnell analysiert: 13 Gegentreffer in sechs Partien sind zu viel, auch wenn reihenweise Finalisten der Weltfußballerwahl auf der Gegenseite standen. Da hilft es auch nicht, dass Salzburg in Gruppe E die meisten Tore geschossen hat (16). Praktisch alle Gegentreffer resultierten aus Patzern in der Defensive. Das ist nicht neu, Fußballspiele werden seit jeher durch Fehler entschieden, nur wissen in der Ära des Umschaltspiels die Gegner auch solche besser denn je zu nutzen.
Bei aller Sympathie für Salzburgs Angriffsfußball – das Defensiv-Dilemma war Chefcoach Marsch spätestens nach der Hinrunde bekannt. In den Griff bekam er es nicht, auch nicht, nachdem er eigentlich folgerichtig Andre´ Ramalho, zu Saisonbeginn noch unumschränkter Abwehrchef, aus der Startelf verbannt hatte. Salzburg war zwar Runde für Runde Garant für ein Europacup-Spektakel, selbst in der sonst belächelten Red-Bull-Arena herrschte Fußballstimmung. Noch aber zahlte die Defensive den zu hohen Preis dafür.
Vergessen werden darf auch nicht, dass die junge Truppe in der Champions League ohne den geringsten Druck gegen die englischen und italienischen Stars drauflosspielen durfte. Ob dem ein oder anderen in der Klubzentrale in WalsSiezenheim schon angst und bange wird vor nächstem Sommer? Dann wartet – standesgemäßer nationaler Meistertitel vorausgesetzt – wieder die tückische Qualifikation für die europäische Elite-Liga und einmal mehr wird der hartnäckige „Königsklassen-Fluch“(elf erfolglose Versuche) in den Köpfen herumschwirren. Der Champions-League-Fixplatz für Österreichs Meister war eine vorerst einmalige Angelegenheit, 2020 gibt es ihn nicht mehr.
Dass nun ausgerechnet die beiden früheren Salzburg-Profis Sadio Mane´ (Vorlage) und Naby Keita (Tor) ihren ExKlub aus der Champions League verabschiedeten, steht sinnbildlich für das sportlich wie wirtschaftlich erfolgreiche Leitbild als Ausbildungsverein. Und ließ Liverpool
Coach Jürgen Klopp nach dem 2:0-Sieg augenzwinkernd bemerken: „Hier werden tolle Spieler ausgebildet.“Die Kehrseite des „Ausbildungswahns“(Salzburger Nachrichten): Die für einen Verein so wichtigen Identifikationsfiguren bleiben auf der Strecke, selbst wenn mit den untypischen Transfers von Zlatko Junuzovic und Maximilian Wöber diese Gefahr gebannt werden soll.
Denn auch das ist der Preis für diesen Champions-League-Herbst: Der Abschied von Erling Haaland und damit des nächsten Publikumslieblings ist nur noch eine Frage der Zeit. Wenn die kolportierte feste Ablösesumme von 20 Millionen stimmt, dann lässt man ihn sogar unter Wert ziehen. Da mag der 19-Jährige nach dem Hype um seine Person zuletzt noch so müde gewirkt haben (dennoch brauchte es am Dienstagabend Star-Verteidiger Virgil van Dijk, um ihn einigermaßen in Schach zu halten).
Die beste Variante für alle Beteiligten wäre, dass Haaland zumindest leihweise die Saison in Salzburg zu Ende spielt. Immerhin wartet im Frühjahr die K.o.-Phase der Europa League (Auslosung am Montag). Und dort darf man sich nun zu den Titelfavoriten zählen. „Wir können dieses Turnier gewinnen“, meinte Trainer Marsch. Ein weiter Weg, aber ein gangbarer.
Und Liverpool? Viel besser als die KloppTruppe in Salzburg hat heuer noch keine Mannschaft in der Champions League gespielt. In der Premier League liegen die Reds ohnehin klar auf Titelkurs. Die bisherige Meisterprüfung aber war es, dem Druck in Salzburg standzuhalten. Und das das sagt schon alles über den neuen Standard bei Österreichs Nummer eins.