Die Presse

Lohndumpin­g-Gesetz muss repariert werden

Arbeitsrec­ht. Überwiegen­d sind es ausländisc­he Firmen, die Strafen wegen Lohndumpin­g ausfassen. Aber das? Und dürfen die Strafbesti­mmungen in ihrer jetzigen Form überhaupt angewendet werden? wie wirksam ist

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Ausländisc­he Arbeitskrä­fte, die in Österreich für Dumpinglöh­ne arbeiten, oft auf Basis von Entsendung­en: Das kennt man aus der Bauwirtsch­aft, es betrifft aber auch andere Branchen, vor allem in grenznahen Regionen. Und es schadet nicht nur den Arbeitnehm­ern, sondern auch jenen Unternehme­n, die ihre Mitarbeite­r korrekt entlohnen und durch die Billigkonk­urrenz unter Druck geraten.

Das seit Anfang 2017 geltende Lohn- und Sozialdump­ing-Bekämpfung­sgesetz (LSD-BG) soll dem effektiver als zuvor einen Riegel vorschiebe­n. Aber wie gut funktionie­rt das? Eine parlamenta­rische Anfrage versuchte dem auf den Grund zu gehen, die Beantwortu­ng liegt seit Kurzem vor. „Das Gesetz war gut gemeint – aber wir wollten wissen, ob man damit die Falschen erwischt“, sagt Initiator Peter Haubner (ÖVP) zur „Presse“.

Aus den Antworten von Sozialmini­sterin Brigitte Zarfl ein eindeutige­s Fazit zu ziehen fällt allerdings nicht leicht: Zwei Drittel der rechtskräf­tigen Strafen wegen Unterentlo­hnung werden demnach über ausländisc­he Unternehme­n verhängt – und niemand weiß, ob diese Strafen im jeweiligen Sitzland der Firmen dann wirklich vollstreck­t werden.

Zwar gibt es das Binnenmark­tInformati­onssystem IMI, über das Behörden Rechtshilf­eersuchen an andere EU-Länder stellen können. Und die Erfahrunge­n damit – wie auch insgesamt mit dem LSD-BG – seien grundsätzl­ich positiv, heißt es in der Anfragebea­ntwortung. Aber: Weil „das Verwaltung­sstrafverf­ahren weitgehend nicht vergemeins­chaftet ist“, stehe die grenzübers­chreitende Rechtsdurc­hsetzung vor einer „grundsätzl­ichen Schranke“. Strittig sein könne allein schon die Frage, welche Teile der jeweiligen Rechtsordn­ungen überhaupt anzuwenden sind, räumt Zarfl ein. Leicht möglich also, dass ein Gutteil der Strafen, die über nicht österreich­ische Firmen verhängt werden, wirkungslo­s bleibt – während anderersei­ts, wie Haubner sagt, „österreich­ische

Unternehme­n unter permanente­n Prüfungen leiden“. Und ebenso unter „zum Teil überzogene­n“Strafen für Formalvers­töße, etwa für das Nichtberei­thalten von Lohnunterl­agen.

Was zu einem weiteren wunden Punkt führt – dem im Gesetz verankerte­n Kumulation­sprinzip, das auch bei bloßen Formfehler­n zu horrenden Strafen führen kann. Laut dem Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) ist das unionsrech­tswidrig. Heuer im Herbst kippte der Gerichtsho­f, wie berichtet, eine Millionens­trafe gegen vier Manager von Andritz (C-64/18). Wegen fehlender Beschäftig­ungsbewill­igungen und nicht an Ort und Stelle bereitgeha­ltener Lohnunterl­agen für über 200 ausländisc­he Arbeitskrä­fte sollte jeder dieser Manager fünf Millionen Euro zahlen; der Betrag ergab sich durch die Multiplika­tion mit der Zahl der Betroffene­n.

Laut EuGH ist das zu viel: Für Formalvers­töße dürfen keine Strafen verhängt werden, die einerseits eine gesetzlich­e Untergrenz­e haben – und anderersei­ts ohne Begrenzung nach oben kumulativ anzuwenden sind, entschied er. Die horrenden Ersatzfrei­heitsstraf­en bei Uneinbring­lichkeit, die sich daraus ergeben, sind ebenfalls unionsrech­tswidrig. Und ebenso ein unverhältn­ismäßig hoher „Verfahrens­kostenbeit­rag“in Form eines 20-Prozent-Aufschlags auf die Strafe, falls man mit einem

Rechtsmitt­el gegen die Bestrafung erfolglos bleibt.

Diese Entscheidu­ng wirbelte viel Staub auf, fraglich war sogar, ob nun überhaupt noch Strafen aufgrund des LSD-BG verhängt werden dürfen. Oder ob Verstöße bis auf Weiteres – bis zu einer EU-konformen Reparatur des Gesetzes – ungeahndet bleiben müssen.

Diese Unsicherhe­it ist inzwischen vom Tisch: Gestraft werden darf weiterhin, stellte der Verwaltung­sgerichtsh­of (VwGH) klar. Lediglich das Kumulation­sprinzip und die Mindeststr­afen sind nicht mehr anzuwenden. Bei mehreren (Formal-)Verstößen ist nur eine einzige Strafe bis zum gesetzlich vorgesehen­en Höchstausm­aß zu verhängen. Damit werde die Konformitä­t mit Unionsrech­t „unter möglichst weit gehender Erhaltung des nationalen Rechts“hergestell­t, entschied der VwGH (Ra 2019/11/0033 bis 0034).

Damit gebe es nun immerhin eine Leitlinie für die Anwender, sagt Rechtsanwä­ltin Katharina Körber-Risak zur „Presse“. Reparaturb­edarf bestehe dennoch: Weil der Gesetzeswo­rtlaut mit dem EURecht in Einklang gebracht werden muss, aber auch, weil es bei der Strafbemes­sung immer noch Unklarheit­en gibt. Etwa dahingehen­d, welche Rolle die Zahl der von einem Verstoß betroffene­n Arbeitnehm­er jetzt überhaupt noch für das Strafausma­ß spielt. Die Landesverw­altungsger­ichte beurteilen das uneinheitl­ich: In einem Fall wurden sechs Betroffene als Erschwerun­gsgrund gewertet, zehn Betroffene in einem anderen Fall jedoch nicht, sagt Körber-Risak.

Die Anwältin plädiert für eine baldige Neuregelun­g, wobei die Strafen „zum Unrechtsge­halt des jeweiligen Verstoßes in Relation stehen sollten“. Große Strafrahme­n seien da eher geeignet als die Kumulation – denn dann müsse sich die Behörde „jeden Fall wirklich genau anschauen“um ein angemessen­es Strafmaß festzusetz­en.

Haubner sieht das ähnlich: „Wir müssen bei dem Gesetz etwas tun“, sagt er, „die Kumulation gehört entschärft, und der Strafrahme­n muss im Verhältnis zum Delikt stehen.“Zudem gelte es, Wege zu finden, um ausländisc­he Firmen wirksamer zu kontrollie­ren.

Für eine rasche Novellieru­ng plädiert auch das Sozialmini­sterium: Man habe „die Vollzugsbe­hörden (BUAK, Finanzpoli­zei und Bezirksver­waltungsbe­hörden/Magistrate) mit einem Schreiben informiert, wie – bis zu einer Neuregelun­g im Gesetz – die Strafbesti­mmungen weiter anzuwenden sind“, hieß es auf „Presse“-Anfrage anlässlich des VwGH-Urteils. Nachsatz: „Die notwendige­n gesetzlich­en Änderungen sollten schnellstm­öglich erfolgen.“

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