Ist das die älteste Malerei der Menschheit?
Archäologie. Nicht in Europa entstanden Kunst und Religion, sondern in Indonesien: Das legen spektakuläre Höhlenfunde nahe. Aber ist die Jagdszene wirklich 44.000 Jahre alt? Es tobt ein Streit über die Sicherheit der radiometrischen Datierung.
In der Falle: Das wild lebende Rind läuft auf acht kleine Figuren zu, die es mit Speeren und Lassos empfangen. Daneben erleidet ein Warzenschwein das gleiche Schicksal. Die Mini-Jäger sind seltsame Gestalten, mit menschlichen Formen, aber Köpfen von Tieren, Schnauzen wie Reptilien oder Schnäbeln wie Vögel, und hinten raus einem Schwanz. Fiktive Mischwesen, der Fantasie entsprungen. Die Elemente des Bildes bilden eine Szene, erzählen eine Geschichte – die Geschichte einer Treibjagd. So etwas kannte man bisher nur von viel jüngeren Malern der Prähistorie aus Europa.
Aber einige dieser Zeichnungen, mit dunkelrotem Pigment auf die Rückwand einer Karsthöhle im Süden der indonesischen Insel Sulawesi gebannt, sind mindestens 44.000 Jahre alt. Für ihren Fund beanspruchen die Archäologen der australischen Griffith University, die ihn am Mittwoch in einem „Nature“-Artikel präsentiert haben, ehrfurchtgebietende Superlative: Es sei die älteste bekannte Höhlenmalerei der Welt, zudem die erste figürliche Darstellung der Kunstgeschichte, die erste narrative Szene, mit den ersten Fabelwesen – womit diese Bildwelt zugleich den ältesten Hinweis auf religiöse Vorstellungen liefert. Denn an deren Ursprung stand das Vermögen, sich etwas auszudenken, was nicht zu Erfahrungen im realen Leben gehört. Dass diese Fähigkeit in Europa aufkam, dass hier auch die Kunst erstmals aufblühte, galt bisher als gewiss. Noch ein Zacken weniger in der Krone.
Aber vielleicht haben sich die Jäger ja nur Felle und Masken von Tieren umgehängt, um ihre Beute zu täuschen? Das schließt das Team um Maxime Aubert aus. Denn warum hätten sie sich als Vögel verkleiden sollen? Dazu kommen die unnatürlichen Größenverhältnisse: Die anthropomorphen Gestalten sind viel kleiner als die Tiere, die in der Natur auch nur 60 bis 100 Zentimeter hoch sind. Das legt nahe, sie als mythische Wesen zu deuten, wie für die prähistorische Kunst üblich: als hilfreiche Lebensgeister, den Visionen von Schamanen entsprungen.
Die Entdeckungen der letzten Jahrzehnte haben die Überzeugungen über die künstlerischen Fähigkeiten unserer Vorfahren schon öfters erschüttert. Lange wiesen die
Meisterwerke in den Höhlen von Lascaux in Südwestfrankreich und Altamira in Nordspanien das Magdalenien´ (vor 20.000 bis 10.000 Jahren) als erste Hochblüte menschlichen Kunstschaffens aus. Doch dann belehrten uns die 30.000 Jahre alten, in ihrer Dynamik fast futuristisch anmutenden Jagdszenen der Grotte Chauvet (in der Ard`echeSchlucht am Rand der Provence) eines Besseren. Eine neue, erregende Theorie kam auf: Auch in der Steinzeit gab es keine lineare Kunstentwicklung, sondern ein regional differenziertes Auf und Ab, wie später beim Aufstieg und Fall von Hochkulturen.
Dem indonesischen Fund zeitlich nahe kommt der berühmte Löwenmensch von der Schwäbischen Alb, datiert auf rund 40.000 Jahre. Auch er ein Mischwesen, mit Menschenkörper und Löwenkopf, aber als Statuette aus Mammut-Elfenbein. Kurz davor entstanden die weit weniger kunstvollen Grafitti der El-Castillo-Höhle in Nordspanien. Diese Handabdrücke, über die man
Pigment blies, galten bisher als ältestes Kunstwerk des Homo Sapiens. Aber da wäre ja noch der Neandertaler. Vor zwei Jahren brachte ein Artikel in „Science“die Welt der Wissenschaft in Aufruhr: Ein Team unter deutscher Leitung behauptete, die in drei spanischen Höhlen entdeckten geometrischen Symbole seien 65.000 Jahre alt, also aus einer Zeit, bevor es der moderne Mensch nach Europa geschafft hatte.
War sein Vorgänger gar nicht der stumpfsinnige Rohling, für den man ihn immer hielt? Hatte er eine ästhetische Ader? Die „Revolution“ist heftig umstritten. Im Oktober warfen 45 Archäologen – so einig ist sich die Zunft sonst nie – den Kollegen Fehler vor. Die Kritisierten bleiben bei ihrer Datierung und arbeiten an einer Antwort. Der Streit wird wohl erst entschieden sein, wenn zusätzliche Methoden der Altersbestimmung Klarheit schaffen. Denn die Zweifel betreffen die
Uran-Thorium-Datierung, die auch in Indonesien angewandt wurde. Worum geht es?
Über die Höhlenwände rinnt Wasser. Es enthält gelöstes Kalzium, das sich als Kalziumkarbonat ausscheidet und als dünne Schicht auch über die Kunstwerke legt. Darin finden sich auch Spuren von radioaktivem Uran, dessen Isotope von da an nach fixem Zeitplan zu Thorium zerfallen. Das erlaubt die Datierung. Aber es besteht der Verdacht, dass zusätzliches Wasser an manchen Stellen einen Teil des Urans fortspült und die reduzierte Menge ein zu hohes Alter vortäuscht. Das würde krass unterschiedliche Datierungen auf ein und derselben Zeichnung erklären. Die Erkunder der spanischen Höhlen beteuern, sie hätten an den richtigen Stellen gemessen. Wie sauber ihre Kollegen in Indonesien gearbeitet haben, muss sich auch erst weisen. Der Ursprung der Kunst bleibt vorerst weiter ins Dunkel der Höhlen gehüllt. Und sicher bergen sie noch viel, was unsere Fantasie zu erregen vermag.