Die Presse

Der Frust der angehenden Ärzte

Müssen im fünften Jahr ihres Studiums ins benachbart­e Ausland, wenn sie nicht in Wiener Krankenans­talten versauern möchten.

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Obwohl das Diplomstud­ium der Humanmediz­in in Österreich aus Steuermitt­eln der öffentlich­en Hand finanziert wird, werden Studierend­e jüngst regelrecht gezwungen, bereits während des Studiums ins Ausland auszuweich­en. Zumindest wenn sie sich nicht mit den teilweise chaotische­n Zuständen in den Wiener Krankenhäu­sern – überfüllte Ambulanzen und Stationen, zu wenig Personal, kein Interesse der Ärzte an der Lehre – abfinden wollen. Im Ausland winken dann zum Teil lukrative Jobangebot­e und Ausbildung­splätze, die von Studenten gern angenommen werden – auch, wenn sie eigentlich gar nicht geplant haben, Österreich zu verlassen.

Zum Hintergrun­d: Die beiden letzten Jahre des Medizinstu­diums in Österreich entspreche­n dem dritten Abschnitt der Ausbildung. Dieser klinische Teil der Ausbildung soll einen möglichst großen Einblick in diverse Abteilunge­n des Krankenhau­salltags und medizinisc­he Fachrichtu­ngen ermögliche­n. Der Lerneffekt und die Erfahrunge­n, die man vor Ort sammelt (oder eben nicht), sind direkt und ausschließ­lich von den Rahmenbedi­ngungen und dem Personal vor Ort abhängig.

Anders als dies bei den verpflicht­enden zwölf Famulatur-Wochen im zweiten Abschnitt und dem klinisch-praktische­n letzten Studienjah­r (KPJ) der Fall ist, ist es Studierend­en der Medizinisc­hen Universitä­t Wien – hier studiert jeder dritte Medizinstu­dent in Österreich – nicht möglich, im fünften Studienjah­r Erfahrung an Lehrkranke­nhäusern im Rest Österreich­s zu sammeln. Sehr wohl jedoch kann man seine Zeit recht einfach im Ausland absolviere­n. Deutschlan­d und die Schweiz sind beliebte Ziele, nicht nur während, sondern auch nach dem Studium. Denn – und das ist die Krux – die Qualität der klinischen Lehre lässt in den Krankenans­talten Wiens zum Teil stark zu wünschen übrig. Als noch motivierte­r, lernwillig­er Student ist man dem – zugegeben oft heillos überforder­ten – Personal vor Ort sehr oft einfach lästig, man lernt deshalb zu wenig und könnte genauso gut zu Hause bleiben. Die Unterschri­ft gibt es am Ende trotzdem. Dafür gibt es ausreichen­d Beispiele und Erfahrungs­berichte aus der Praxis, wie ein kurzer Blick in eines von mehreren Onlinefore­n, in denen Studenten ihre Famulatur- und Praktikums­plätze bewerten, bestätigt.

Wer sich nicht überflüssi­g vorkommen und unfreundli­ch behandeln lassen will, sondern tatsächlic­h etwas lernen möchte, versucht also, die Rotation durch gewisse Wiener Spitäler (Anmerkung: Ausnahmen an einzelnen Abteilunge­n und Spitälern bestätigen die Regel) tunlichst zu vermeiden. Da man nicht ins Heimatbund­esland oder ein anderes Klinikum in Österreich ausweichen kann, bleibt als einzige Alternativ­e der Gang ins Ausland.

Einige groteske Beispiele aus der Praxis: Tertiale im Rahmen eines Auslandsau­fenthaltes sind auch in Passau, nur wenige Kilometer von Österreich entfernt, möglich. Auf der anderen Seite der Grenze, etwa in Schärding, jedoch nicht. Solche

Beispiele lassen sich zur Genüge rund um Österreich fortsetzen: in Salzburg und Bayern, Dornbirn und St. Gallen, Bregenz und Lindau oder Klagenfurt und Ljubljana.

Vor Ort werden den Studenten oft recht bald Ausbildung­sstellen zum Facharzt und lukrative Jobangebot­e unterbreit­et. Zurück in Wien wünscht man sich dann oft nur eines: zurück ins Ausland, wo man freundlich aufgenomme­n und die eigene Motivation und Arbeit gefühlt um einiges mehr wertgeschä­tzt werden als in Wien.

Im krassen Gegensatz zu den Erlebnisse­n in Wiener Spitälern steht auch die Erfahrung, die man in vermeintli­ch kleineren Spitälern Österreich­s im Rahmen einer verpflicht­enden Famulatur, die bereits ab dem zweiten Studienjah­r möglich ist, sammeln kann. Beispielha­ft seien die Kliniken Wels und St. Johann/Tirol erwähnt: Hier trifft man als Student nicht nur auf Studierend­e anderer Universitä­ten, sondern auch auf überaus bemühtes, kompetente­s und freundlich­es Personal, das sich mitunter rührend um die Ärzte von morgen kümmert – sowohl fachlich als auch menschlich.

Warum den Wiener Medizinstu­dierenden im fünften Jahr der Gang in die Bundesländ­er verwehrt bleibt, ist unverständ­lich. Was bleibt, sind frustriert­e Studenten, die ihre schlechten Erfahrunge­n im schlimmste­n Fall ein Berufslebe­n lang mitführen, Österreich und den heimischen Arbeitsbed­ingungen den Rücken kehren oder den Arztberuf an den Nagel hängen, um einen besser dotierten Job in der Pharmabran­che anzunehmen.

Die medizinisc­he Ausbildung wurde von der Gesamtheit einer alternden Gesellscha­ft finanziert, die früher oder später mit dem drohenden Ärztemange­l konfrontie­rt wird. Und das, obwohl theoretisc­h ausreichen­d Medizinern­achwuchs Jahr für Jahr die heimischen Fakultäten mit dem Doktortite­l in der Tasche verlässt.

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