Diesen Zoll sollten wir alle befürworten
Die EU will ihre Klimaschutzanstrengungen weiter verstärken. Teil des „Green New Deal“soll auch eine CO2-Importabgabe sein. Endlich.
Wir haben uns entschlossen, noch in diesem Jahrzehnt zum Mond zu fliegen. Nicht, weil es leicht ist, sondern weil es schwer ist.“Mit diesen Worten leitete US-Präsident John F. Kennedy 1962 das Rennen zum Mond ein, das die USA sieben Jahre später mit einem Erfolg abschließen konnten. Die als „Mond-Rede“berühmt gewordene Ansprache Kennedys an der texanischen Rice University brannte sich damit ins kollektive Gedächtnis der Amerikaner ein und ist noch heute Teil des US-Selbstverständnisses als technologische Führungsnation der Welt.
Es ist also ein hoher Anspruch, den die neue EU-Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, an sich selbst stellt, indem sie die Vorstellung ihres „Green New Deal“am Mittwoch als Europas „Mann auf den Mond“-Moment bezeichnete. Und auch wenn der Umbau Europas hin zu einer CO2-neutralen Wirtschaft definitiv nicht in einem Jahrzehnt erledigt sein wird, stimmt eine Analogie mit dem Flug zum Mond auf jeden Fall: Es ist nicht leicht, sondern sehr schwer.
Denn trotz aller bisherigen Bemühungen ist man auch in Europa vom Einhalten der Klimaziele noch weit entfernt. So wurden zwar die Treibhausgasemissionen seit 1990 um 23 Prozent gesenkt, während die Wirtschaft um 61 Prozent gewachsen ist. Dennoch reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, bis Mitte dieses Jahrhunderts CO2-neutral zu werden. Sondern lediglich, um die Emissionen auf 40 Prozent des Wertes von 1990 zu reduzieren. Es braucht aber die vollständige Neutralität, wenn Europa seinen Teil beitragen will, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen (dass zur Erreichung dieses Ziels auch die USA, China und andere Länder ihren Ausstoß reduzieren müssen, steht auf einem anderen Blatt).
Insofern ist es klar, dass beispielsweise die CO2-Vorgaben für die Industrie weiter verschärft werden oder das historisch bestehende Kuriosum beendet wird, dass fossile Treibstoffe in Europa immer mit einer hohen Steuer belastet sind – außer sie werden in einem Flugzeug verbrannt. Dann sind sie nämlich komplett steuerfrei. Und auch wenn die Luftfahrt nur zwei Prozent zu allen CO2-Emissionen beiträgt, so haben die Billigtickets dazu geführt, dass sie sich seit 1990 mehr als verdoppelt haben. Gegen all diese Verschärfungen gab es von den betroffenen Branchen immer ein absolut nachvollziehbares Argument: Wir stehen im globalen Wettbewerb mit Firmen, die diese Vorgaben nicht haben. Klar, wenn die Voest für ihren Stahl teure CO2-Zertifikate bezahlen muss, hat sie gegenüber dem Stahlwerk in der Ukraine, das das nicht muss, einen Nachteil. Und es hilft dem globalen Klima nichts, wenn wir solche Industrien aus Europa vertreiben.
Dieser Punkt wird nun im „Green New Deal“aufgegriffen. Und zwar in Form einer CO2-Importabgabe. Diese von Experten schon seit Langem geforderte Abgabe fungiert wie ein Zoll anteilig auf den CO2-Ausstoß von Produkten, die aus Drittstaaten in die EU importiert werden. Und auch wenn Zölle grundsätzlich abzulehnen sind, ist es die einzige Möglichkeit, eine zukunftsorientierte Klimapolitik zu betreiben, ohne die eigene Wirtschaft zugrunde zu richten.
Auf lange Sicht kann Europa aber auch wirtschaftlich davon profitieren, wenn man früher auf grüne Technologien setzt als anderswo. Vorerst sorgt das zwar für höhere Kosten, weil das Verbrennen fossiler Treibstoffe oft noch billiger ist als Erneuerbare. Langfristig spart man sich jedoch die Brennstoffkosten und hat eine geringere Abhängigkeit von Energielieferanten aus dem Nahen Osten oder Russland.
Das ist aber natürlich kein Automatismus. So hat Deutschland – zu früh – versucht, eine Fotovoltaikindustrie aufzubauen. Das Ergebnis: Noch heute zahlen die Stromkunden pro Jahr fast 30 Milliarden Euro für die Energiewende, die Produktion wanderte aber nach China ab. Bei den Technologien, die für eine CO2-neutrale Wirtschaft notwendig sind, geht es aber weniger um Solarpaneele oder Windräder, sondern vor allem um intelligente Energiesysteme. Dafür sind vor allem Know-how und Steuerungstechnik notwendig. Und das könnte Europa durchaus als Chance sehen.
Wenn Europa binnen drei Jahrzehnten klimaneutral werden will, wird das ab sofort pro Jahr mindestens 1,5 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung der 27 Mitgliedstaaten kosten. Das sind, gemessen an aktuellen Preisen, zumindest 260 Milliarden Euro jährlich. Doch woher dieses Geld kommen soll, bleibt vorerst offen – und das ist die wesentliche Schwäche des „Green Deal für Europa“, welchen Ursula von der Leyen, die neue Präsidentin der Europäischen Kommission, am Mittwoch veröffentlicht hat.
Von der Leyen hatte diese erste wichtige Entscheidung ihrer Amtszeit seit Wochen propagiert und dabei zu hochtrabenden Worten gegriffen. „In den nächsten fünf Jahren wird unsere Union sich in eine Transformation begeben, die jeden Teil unserer Gesellschaft und Wirtschaft erfasst“, sagte sie vor zwei Wochen in Straßburg vor dem Europaparlament. Am Mittwoch legte sie die Latte noch höher: „Manche sagen, das ist Europas Mann-auf-dem-Mond-Projekt.“
Doch wie – bildlich gesprochen – dieser Mann auf den Mond kommt, wie seine Rakete angetrieben wird und ob er überhaupt dort landen wird, ist offen. Von der Leyens Papier ist eine politische Mitteilung samt vierseitiger Auflistung der 50 konkreten rechtlichen Maßnahmen, welche in Brüssel für die Dekarbonisierung Europas zum Stichjahr 2050 als unumgänglich angesehen werden.
Und hier naht bereits am Donnerstag Ungemach. Denn auf dem Europäischen Rat drohen die 27 Staats- und Regierungschefs (der britische Premierminister Boris Johnson bleibt dem Gipfeltreffen fern) darüber in Streit zu geraten, wie diese Ökowende sozial verträglich abgehandelt werden soll. Ein 100 Milliarden Euro umfassender Fonds für die gerechte Transformation soll dafür herhalten. Doch auch hier ist laut mehreren europäischen Diplomaten unklar, woher dieses Geld stammen soll. Aus dem Europäischen Haushalt? Über den sind sich die 27 EUChefs gleichfalls nicht einig. Aus dem laufenden Europäischen Fonds für strategische Investitionen, den von der Leyens Vorgänger, Jean-Claude Juncker, eingerichtet hatte? Dieses Vehikel, im Rahmen dessen die Europäische Investitionsbank mit dem EU-Budget als Garantie Darlehen absichert, soll jedoch zudem nach von der Leyens Wünschen im kommenden Jahrzehnt in Summe eine Billion Euro an staatlichen und privatwirtschaftlichen grünen Investitionen hebeln. Sollen die 100 Milliarden Euro, gestreckt über die sieben Jahre von 2021 bis 2027, das EU-Budget aufstocken oder durch die Umwidmung bestehender Kohäsionsfördertöpfe freigemacht werden? Im Jänner will von der Leyen einen „Investitionsplan für ein nachhaltiges Europa“vorstellen.
So oder so: Politischer Streit ist sicher. Polen, Ungarn und Tschechien drängen darauf, auf dem EU-Gipfel den Fonds für die gerechte Transition möglichst detailliert zu bestimmen. Nur unter dieser Bedingung würden sie einen einstimmigen Beschluss der Staats- und Regierungschefs mittragen, wonach die EU bis 2050 klimaneutral werden solle. Sonst droht ein Scheitern wie beim vorherigen Europäischen Ratstreffen im Oktober.
Österreich und Luxemburg drohen
Zudem musste von der Leyen fast zeitgleich zu ihrer Vorstellung des „Green Deal“einen Rückschlag einstecken. Die von Mitgliedstaaten und Europaparlament fertig verhandelte Einigung darüber, welche Energieformen für Finanzunternehmen künftig als „grün“gelten, scheiterte am Mittwoch beim Treffen der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten am Widerstand Frankreichs, Polens, Ungarns, Tschechiens, der Slowakei, Bulgariens und Rumäniens. Sie wollten nämlich eine ausdrückliche Einbeziehung der Atomenergie als klimaneutrale Energieproduktion. Und sie fordern daraus folgend auch, dass der erwähnte 100-Milliarden-EuroFonds für die gerechte Transformation den Bau oder die Sanierung von Atomkraftwerken ebenfalls finanzieren kann. Dagegen laufen Österreich und Luxemburg Sturm. Sollte der EU-Gipfel die Nuklearenergie ausdrücklich als nachhaltig auszeichnen wollen, werde man dies per Veto verhindern, drohte Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein am Mittwoch.
Einen weiteren politischen Konflikt mit dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten verschob von der Leyen ebenfalls auf nächstes Jahr: Ob es bis zum Jahr 2030 um 50 oder 55 Prozent weniger Emissionen geben solle, werde im Sommer geprüft, hieß es.