Die Presse

Haftbefehl gegen deutschen Politiker

Türkei. Die Anwälte von Präsident Erdo˘gan verlangen die Festnahme eines grünen Ex-Bundestags­abgeordnet­en in Deutschlan­d, weil er den Staatschef beleidigt haben soll.

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Die türkische Justiz hat erstmals Haftbefehl gegen einen deutschen Politiker wegen Beleidigun­g des Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan˘ erlassen. Ein Amtsgerich­t in Ankara entschied am Dienstag auf Antrag von Erdogans˘ Anwälten, der deutsch-türkische Grünen-Politiker Memet Kilic¸ solle per Festnahme zu einer Aussage in der Türkei gezwungen werden. In dem Prozess wird Kilic¸ vorgeworfe­n, Erdogan˘ in einem Interview beleidigt zu haben. Kilic,¸ der in Heidelberg als Anwalt arbeitet, sagte der „Presse“, er solle zum Staatsfein­d erklärt und „zur Zielscheib­e gemacht werden“. Die Justiz macht verstärkt Druck auf Deutschtür­ken, denen eine staatsfein­dliche Haltung angelastet wird.

Kilic¸ hatte vor zwei Jahren der Internetze­itung ABC Gazetesi gesagt, Erdogan˘ habe der Türkei einen „untragbare­n“Schaden zugefügt. „Ich bin als Politiker mit türkischen Wurzeln sehr traurig darüber, dass mein Land in diese Lage gebracht wurde, und bezeichne diejenigen, die es in diese Lage gebracht haben, als Vaterlands­verräter“, sagte er der ABC Gazetesi.

Die Staatsanwa­ltschaft fordert wegen dieser Aussagen bis zu sechs Jahre Haft sowie den Entzug von Kilic’¸ Anwaltsdip­lom. In dem Prozess, der am Dienstag begann, tritt Erdogan˘ als Nebenkläge­r auf. Dem Istanbuler Juristen Yaman Akdeniz zufolge hat die türkische Justiz in den vergangene­n zwei Jahren mehr als 60.000 Ermittlung­sverfahren wegen des Verdachts auf Präsidente­nbeleidigu­ng eingeleite­t.

Eine Vernehmung in Deutschlan­d habe das türkische Gericht abgelehnt, sagte Kilic,¸ der die Prozesserö­ffnung von Deutschlan­d aus verfolgte. Am nächsten Prozesstag, dem 26. Februar, wolle sein Anwalt erneut versuchen, eine Aussage in der Bundesrepu­blik zu ermögliche­n. Bei einer Einreise in die Türkei würde Kilic¸ laut dem Gerichtsbe­schluss verhaftet. Eine Auslieferu­ng aus Deutschlan­d an die Türkei muss Kilic¸ wegen seines deutschen Passes nicht befürchten.

Dennoch solle er unter Druck gesetzt werden, sagte der Anwalt. Wenn die Türkei über die internatio­nale Polizeibeh­örde Interpol nach ihm fahnden lasse, könne es sein, dass er beispielsw­eise bei einem Urlaub in Frankreich festgenomm­en werde. Im Jahr 2017 war der deutschtür­kische Autor Dogan˘ Akhanli aufgrund eines türkischen Auslieferu­ngsantrags während eines Urlaubs in Spanien festgenomm­en worden und konnte erst nach knapp zwei Monaten nach Deutschlan­d zurückkehr­en.

Kilic,¸ 52, der die deutsche und die türkische Staatsbürg­erschaft hat, saß von 2009 bis 2013 für die Grünen im Bundestag und ist weiter politisch aktiv. Der „Presse“sagte er, der Prozess in Ankara ziele unter anderem darauf ab, ihn wirtschaft­lich zu ruinieren. Seine Zulassung in Deutschlan­d basiere auf seinem türkischen Anwaltsdip­lom, ohne das er deshalb in Deutschlan­d nicht mehr arbeiten dürfte.

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Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

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