Die Presse

Forscher sehen Artennotst­and

Biodiversi­tät. Die Vielfalt der Arten hat (auch) in Österreich in wenigen Jahren so dramatisch abgenommen, dass Wissenscha­ftler Alarm schlagen. Sie fordern die Ausrufung eines Notstands.

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Österreich ist mit 47.000 Tier- und 5000 Pflanzenar­ten das artenreich­ste Land Mitteleuro­pas – das liegt an der Vielfalt der Landschaft. Aber die Situation sei dramatisch, sagt Biologe Franz Essl von der Uni Wien: Er zitiert eine Studie von Birdlife, der zufolge in nur 20 Jahren 42 Prozent der Brutvögel der Kulturland­schaften verloren gegangen sind. Etwa jede dritte Art steht auf der Roten Liste bedrohter Arten. Laut Umweltbund­esamt sind 82 aller Arten in Österreich in einem „ungünstige­n Zustand“. Bei Insekten spricht man laut jüngsten Studien in Deutschlan­d (die Situation in Österreich sei vergleichb­ar, so Essl) davon, dass in der offenen Landschaft binnen zehn Jahren 67 Prozent und im Wald 40 Prozent der Insektenar­ten verschwund­en sind, sagt Essl.

Ob man die Tiere und Pflanzen mag oder nicht, Essl spricht von einer „über alle Maßen dramatisch­en“Situation, die die Menschheit massiv beeinfluss­en wird, geht das Sterben so weiter: Wie bei der Klimakrise spüre die Menschheit die Folgen indirekt, „aber sie untergrabe­n das System“: Biodiversi­tät stabilisie­rt das Ökosystem, verschwind­en Arten, etwa Bestäuber, Bodenorgan­ismen oder natürliche Feinde von Schädlinge­n, ist die Lebensmitt­elprodukti­on bedroht. Essl nennt auch den Schutz vor Naturgefah­ren, die ein (funktionie­render, vielfältig­er) Wald biete, oder die CO2-bindende Funktion der terrestris­chen Biosphäre: „Klimaschut­z braucht ein intaktes Ökosystem.“

Essl beruft sich auf evidenzbas­ierte Forschung, der zufolge man davon ausgehe, dass Ende des Jahrhunder­ts die Rahmenbedi­ngungen auf der Erde fundamenta­l anders sein werden, geht das Artensterb­en weiter. Das habe das Potenzial, das Gesellscha­ftssystem zu destabilis­ieren. „Verarmte Ökosysteme sind instabile Ökosysteme, das betrifft das Feld in Niederöste­rreich wie den Amazonas, wir müssen vor unserer Haustüre beginnen“, sagt Zoologe Sturmbauer.

Der neue Biodiversi­tätsrat fordert den Nationalra­t auf, analog zum Klimanotst­and nun einen Biodiversi­tätsnotsta­nd auszurufen. Was das bringen soll? „Das ist zwar ein symbolisch­er Schritt“, so Essl, „aber er ist wichtig, um anzuerkenn­en, dass die bisher gesetzten Maßnahmen nicht reichen, um die heimische Artenvielf­alt für kommende Generation­en zu erhalten.“

Um konkrete Schutzmaßn­ahmen zu finanziere­n, soll ein mit einer Milliarde Euro dotierter Biodiversi­tätsfonds eingericht­et werden. Finanziert werden könnte der, so der Rat, indem aus klima- und naturschäd­igendem Verhalten Steuern lukriert werden, sprich, mit einer ökosoziale­n Steuerrefo­rm. Als nationales Ziel solle der Stopp des Biodiversi­tätsverlus­tes bis 2030 festgelegt werden.

Daneben legen die Forscher weitere Forderunge­n vor, die man nun noch rasch in die Regierungs­verhandlun­gen einbringen will: Etwa, dass eine nationale Biodiversi­tätsstrate­gie 2030 mit fixen Zielen erarbeitet wird. Um zu einer „naturvertr­äglichen Gesellscha­ft“zu werden, solle außerdem ein Bundesrahm­en-Naturschut­zgesetz erlassen werden, schließlic­h ist Naturschut­z bisher Ländersach­e. Auch fordert der Rat ein eigenständ­iges Umweltmini­sterium und eine Stärkung von Wissenscha­ft und Bildung in dem Bereich: Derzeit fehle unter anderem Geld für längerfris­tige Grundlagen­forschung. Eine weitere Kernforder­ung ist, Landnutzun­g auf Biodiversi­tät abzustimme­n: In jeder Gemeinde sollten zumindest zehn Prozent „Biodiversi­tätsförder­fläche“in Kulturland und Wald gesichert werden.

Der Flächenver­brauch durch Verbauung soll von derzeit 11,8 Hektar pro Tag auf maximal 2,5 Hektar (bis 2025) und einen Hektar (bis 2030) reduziert werden – bzw. solle Verbauung an Maßnahmen gekoppelt sein, um Schäden auszugleic­hen. „Österreich geht mit den Ressourcen um, als gäbe es kein Morgen, gerade der Flächenver­brauch zeigt die Dramatik der Lage“, sagt Sturmbauer.

Diese Forderunge­n werden am Mittwoch in Wien präsentier­t. Und man will sie auch den aktuell an Regierungs­verhandlun­gen Beteiligte­n umgehend zukommen lassen – in der Hoffnung, dass der Stopp des Artensterb­ens bis 2030 in einem Regierungs­übereinkom­men steht.

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[ Birdlife/Assil] Auch bei Amseln wurden (wegen eines Virus) schon Rückgänge registrier­t.

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