Die Presse

„Alle Attentäter waren im Gefängnis“

Terroransc­hläge. Der ehemalige Wiener Gefängniss­eelsorger Ramazan Demir fordert mehr Deradikali­sierungsar­beit, damit Insassen mit ihrer Haltlosigk­eit nicht allein gelassen werden.

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Demir, Ehrenvorsi­tzender der islamische­n Gefängniss­eelsorge in Österreich, war acht Jahre lang als Seelsorger tätig und schrieb das Buch „Unter Extremiste­n: Ein Gefängniss­eelsorger blickt in die Seele radikaler Muslime“(2017). Er fordert eine massive strukturel­le Aufwertung von Prävention­s- und Deradikali­sierungsar­beit in österreich­ischen Gefängniss­en.

Derzeit gebe es lediglich einen hauptberuf­lichen Seelsorger. Das sei zu wenig, denn das Problem werde eher größer als kleiner. Demir betont, dass praktisch alle Attentäter in ganz Europa einen Gefängnisa­ufenthalt hinter sich hätten und dort (weiter) radikalisi­ert worden seien, weil sie ohne Orientieru­ng und mit einem falschen Religionsv­erständnis den Islam fälschlich­erweise mit Gewalt gleichgese­tzt hätten. Ein typisches Beispiel sei jemand, der etwa wegen eines Drogen- oder Eigentumsd­elikts im Gefängnis landet, dort an einen radikalisi­erten Mitinsasse­n gerät und sich beeinfluss­en lässt, weil er gerade auf der Suche nach Halt ist.

Umso wichtiger sei es, diese Menschen „zu unterstütz­en und religiös zu bilden“– und zwar in Zusammenar­beit mit den staatliche­n Behörden sowie der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich, die hier die nötigen Kompetenze­n mitbringe. Dafür brauche es mehr Kapazitäte­n, immerhin würden derzeit österreich­weit rund 2000 Muslime ihre Haft absitzen. Dabei seien die Erfolgsaus­sichten grundsätzl­ich nicht schlecht, denn seinen Erfahrunge­n zufolge handelt es sich beim Großteil der Extremiste­n im Gefängnis um Mitläufer, die relativ schnell deradikali­siert werden könnten.

Die Arbeit von Gefängniss­eelsorgern sei auch deshalb so wichtig, weil sie ähnlich wie beispielsw­eise Priester und Ärzte der Schweigepf­licht unterliege­n würden und mit den Insassen offen kommunizie­ren und ein Vertrauens­verhältnis aufbauen könnten, um nach und nach einen Zugang zu ihnen zu finden.

Mittlerwei­le hat die Wiener Polizei Kontakt mit den zuständige­n Behörden in Deutschlan­d aufgenomme­n, da das tschetsche­nische Trio auch dort Anschläge geplant haben soll. Das deutsche Bundeskrim­inalamt (BKA) wurde am Montag über den Fall informiert, teilte BKA-Chef Holger Münch mit. Details über etwaige Konsequenz­en für die Sicherheit­skonzepte deutscher Städte nannte er nicht.

In Wien haben die Anschlagsp­läne jedenfalls keine Auswirkung­en auf das – schon vor der Adventzeit erarbeitet­e – Sicherheit­skonzept der Polizei. Denn die Exekutive ist ohnehin mit zivilen und uniformier­ten Kräften auf den Weihnachts­märkten präsent. Wie viele es sind, gibt die Polizei aus sicherheit­staktische­n Gründen nicht bekannt. Bei der Erarbeitun­g des Konzeptes wurde eng zwischen allen Beteiligte­n – Veranstalt­er, Stadt Wien und Exekutive – kooperiert.

Nach dem Anschlag auf einen Weihnachts­markt in Berlin 2016 waren die österreich­ischen Sicherheit­skräfte vorübergeh­end in verstärkte Alarmberei­tschaft versetzt worden. Im Anschluss wurden bei neuralgisc­hen Plätzen wie beim Rathaus, bei der Kärntner und der Mariahilfe­r Straße Sicherheit­smaßnahmen wie Poller errichtet.

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[ Clemens Fabry ] Ramazan Demir war acht Jahre lang Gefängniss­eelsorger in Österreich.

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