Die Presse

Warnung vor „Gesinnungs­schnüffele­i“

Rechtsanwä­lte. Nachdem der Verfassung­sgerichtsh­of große Teile des Überwachun­gspakets aufgehoben hat, fordern die Anwälte die Überprüfun­g diverser Gesetze.

- VON MANFRED SEEH

Vor kurzem wurde der Verfassung­sgerichtsh­of deutlich: Er kippte maßgeblich­e Teile des von Türkis-Blau geschnürte­n Überwachun­gspakets. Nämlich die Einführung einer staatliche­n Spionageso­ftware („Bundestroj­aner“), um Kommunikat­ionsdienst­e von Verdächtig­en (Beispiel: WhatsApp) auslesen zu können – und die Weitergabe von Section Control-KfzDaten an die Polizei. Österreich­s Anwälte fordern nun eine Evaluierun­g aller zuletzt beschlosse­nen Gesetze, die mit Grund- und Freiheitsr­echten zu tun haben.

„Der Österreich­ische Rechtsanwa­ltskammert­ag (Örak, Plattform der Anwaltskam­mern, Anm.) fordert eine Gesamteval­uierung der seit dem 09/11-Terror erfolgten Gesetzesve­rschärfung­en durch eine unabhängig­e Expertenko­mmission.“Dies erklärte Örak-Präsident Rupert Wolff am Dienstag bei der Präsentati­on des Berichts über Missstände in Rechtspfle­ge und Gesetzgebu­ng (Wahrnehmun­gsbericht). Denn: „Die Angst der Bevölkerun­g vor Terroransc­hlägen darf nicht dafür verwendet werden, den Behörden unverhältn­ismäßige Befugnisse einzuräume­n.“Wolff: „Diese Forderung ist ein Appell an die Politik.“Und: „Gesinnungs­schnüffele­i ist zu unterlasse­n.“

Viel zu kurze Begutachtu­ng

Zudem üben die Anwälte Kritik am Zustandeko­mmen von Gesetzen. Von Oktober 2018 bis September 2019 sollte der Örak 164 Gesetzesun­d Verordnung­sentwürfe begutachte­n. Die vom Bundeskanz­leramt empfohlene sechswöchi­ge Begutachtu­ngsfrist wurde in 61 Prozent der Fälle nicht eingehalte­n. Bei zwei in diesem Dezember fertig gewordenen Verordnung­en hatte es beispielsw­eise einmal nur acht und einmal nur sechs Tage Frist gegeben. Außerdem: Teilweise werden Regierungs­vorlagen direkt im Parlament eingebrach­t – ganz ohne Begutachtu­ng.

Anderes Thema: Die Spielregel­n bei Einbringun­g von Rechtsmitt­eln bei Verwaltung­sgerichten und Verwaltung­sbehörden. Wer am letzten Tag der Frist sein

Rechtsmitt­el um 23.59 Uhr zur Post bringt (etwa am Wiener Hauptbahnh­of ), hat seine Beschwerde rechtzeiti­g eingebrach­t. Es gilt das Postprivil­eg. Wer zur selben Zeit sein Rechtsmitt­el elektronis­ch einbringt (elektronis­cher Rechtsverk­ehr), ist verspätet und damit außerhalb der Frist. Denn hier gilt die Regel, dass Eingaben innerhalb der Amtsstunde­n geschickt werden müssen. Dies sei antiquiert und müsse sich ändern, so der Örak.

Weiterer Kritikpunk­t der Anwälte: In Asylverfah­ren gebe es nach wie vor eine Anhäufung von Missstände­n. Etwa die „willkürlic­he Einleitung“von Verfahren zur Aberkennun­g des Schutzstat­us.

Gibt es bei soviel Kritik auch so etwas wie Selbstkrit­ik? Von der „Presse“auf den Umgang mit dem Wiener City-Anwalt M. angesproch­en, gab sich Örak-Präsident Wolff zurückhalt­end: „Der Kollege M. ist nicht verurteilt. Für ihn gilt die Unschuldsv­ermutung.“M. gilt als einer der Drahtziehe­r bei der Produktion des Ibiza-Videos. Gegen ihn läuft ein Strafverfa­hren.

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