Leitartikel von Oliver Pink
Passen Türkis und Grün wirklich zusammen? Inhaltlich könnte es schwer werden. Machtpolitisch hingegen könnte es schon funktionieren.
e non e` vero, e` ben trovato“, würden die Italiener sagen. Oder anders formuliert: Anekdoten entfalten nicht nur dann ihre Wirkung, wenn sie wahr sind, sondern auch, wenn sie zumindest für wahr gehalten werden. Der Großbritannien-Korrespondent dieser Zeitung berichtete gestern von einem Bonmot, das seit 1993 über die Labour Party kursiert: Damals, nach der vierten Wahlniederlage en suite, habe ein linker Aktivist seinen lokalen Abgeordneten bestürmt: „Können Sie mir versichern, dass wir keinen Pakt mit dem Wähler eingehen werden?“Nun wurde aus den türkis-grünen Verhandlungen berichtet, dass die Grünen um spätestens 21 Uhr in den Stadien das Licht abdrehen wollen, um die Insekten zu schützen. Die Grünen dementierten. Aber wie gesagt: Man hält es für möglich.
Das Ganze erzählt freilich nicht nur etwas über die Grünen, sondern auch etwas über die ÖVP. Dort hält man, jedenfalls in Teilen, die Grünen nach wie vor für überspannte, weltfremde Freaks. Was man bei den Grünen von der ÖVP hält, wird man in Anekdotenform dann vielleicht nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen nachgereicht bekommen.
Noch halten sich die Grünen an das Stillschweigeabkommen. Und die Grünen sind offensichtlich nicht nur professionell, sondern auch machtbewusst. Um hier eine Anekdote aus eigener Erfahrung einzustreuen: Schon zu Beginn der Verhandlungen sollen grüne Strategen den türkisen zu verstehen gegeben haben, wohin der Hase rennen sollte: Ihr wollt die FPÖ abräumen, wir wollen die SPÖ abräumen – also tun wir uns doch zusammen.
Aktuellen Umfragen zufolge scheint das auch zu funktionieren. ÖVP und Grüne erfreuen sich eines stabilen Hochs. Es spricht also wenig gegen Türkis-Grün. Auch wenn der Verfassungsgerichtshof gestern mit der Aufhebung der Mindestsicherung eine Hürde aufbaute: Für die Grünen ist das eine Vorlage, für die ÖVP eine Niederlage. Wobei die Mindestsicherung an die Sprachkenntnisse zu knüpfen (integrations-)politisch richtig war. Auch wenn der VfGH das anders sieht.
Für die FPÖ könnte das auch eine Vorlage sein – für ihren Versuch, der ÖVP rechts wieder Wähler abspenstig zu machen. So wie die SPÖ dann versuchen wird, die Grünen links zu überholen. Allerdings muss die SPÖ aufpassen, dass sie sich nicht ganz ihrem linken Flügel ausliefert. Denn dann wird sie den Weg der Labour Party gehen. The few. Not the many. Der Pakt mit dem Wähler wäre endgültig aufgekündigt.
Den nächsten Pakt werden aber wohl Türkis und Grün schließen. Die Parteiführungen sind fest entschlossen. Die jeweilige Basis hingegen steht dem noch distanziert gegenüber. Die Skeptiker bei den Grünen sahen sich durch Insektengate in ihren Befürchtungen bestätigt. Jene auf der türkisen Seite gewissermaßen auch. Wobei bei der Lichtverschmutzung in etwa dasselbe gilt wie beim Klimawandel: Grundsätzlich ist man sich einig, dass es Handlungsbedarf gibt. Es ist nur die Frage, bis auf welche Ebene man es herunterdeklinieren sollte. Flutlichtanlagen seien ein eher vernachlässigbarer Nebenschauplatz, sagte ein Insektenforscher im „Kurier“.
ie ÖVP hat 37,5 Prozent, die Grünen haben 13,9. Diese Rangordnung wird die ÖVP aufweichen müssen, wenn sie die Grünen in einer Regierung haben will, aber sie wird sie nicht auf den Kopf stellen können. Mehr als vier plus eins – also vier Ministerien und ein Staatssekretariat – wird es für Grün nicht geben. Ein, zwei wichtige müssen dabei sein. Wobei: Das Innenressort wird die ÖVP aus machtpolitischen Gründen wieder haben wollen (vielleicht ließe sich jemand abseits der niederösterreichischen Stahlhelmfraktion finden). Das Bildungsressort wird sie aus ideologischen Gründen behalten wollen (am besten wieder mit Heinz Faßmann). Und Rudolf Anschober die Integrationsagenden zu überantworten, würde auch alles konterkarieren, was bisher war. Man könnte freilich argumentieren, dass er ja nur für Integration, nicht für Migration an sich zuständig wäre, aber es wäre eben doch ein Signal: für die Rückkehr zur alten Laisser-faire-Politik.
Da wird man den Grünen wohl eher beim Insektenschutz entgegenkommen.