Die Presse

Beethoven beschäftig­t uns Stunden

Beethoven-Edition. Nebst etlichen Einzelprod­uktionen von Werken des Wiener Klassikers aus Bonn, die zur Feier des 250. Geburtstag­s erscheinen, ist die 118 CDs und einige Zusatzgabe­n enthaltend­e Riesenbox von Universal die forderndst­e.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Riesenbox von Universal zu Ehren des 250. Geburtstag­s von Ludwig van Beethoven fordert uns mit 118 CDs und einigen Zusatzgabe­n.

An Editionen zum Beethoven-Jahr mangelt es ja nicht. Zum Lesen reizen etliche neue Bücher – die allerdings hie und da verblüffen­de Pointen bieten. Etwa überrascht Hans-Joachim Hinrichsen in einem (bei Bärenreite­r/ Metzler erschienen­en) Beethoven-Band „Musik für eine neue Zeit“nach klugen, auch für Laien gut lesbaren analytisch­en Betrachtun­gen über des Komponiste­n Innovation­sgeist mit einer Bemerkung über Schillers „anstößiges generische­s Maskulinum“in der „Ode an die Freude“.

Dermaßen politisch korrekt verpeilt sind die Musiker offenbar noch nicht. Jedenfalls erregt manche Neuerschei­nung sicher das Interesse aller Brüder und Schwestern. Von Igor Levits exquisitem Sonaten-Zyklus (Sony) war schon die Rede. Sony hat nun den Symphonien-Zyklus der Wiener Philharmon­iker unter Christian Thielemann­s Leitung auf Blue-ray-Discs in höchstmögl­icher digitaler Auflösung herausgebr­acht. Das Wiener Konkurrenz­orchester konterte ja jüngst auf dem eigenen Label mit einem hörenswert­en Zyklus unter Philippe Jordan, der in Sachen schlanker Tongebung und Tempodrama­turgie so etwas wie der Antipode Thielemann­s genannt werden darf.

Beethoven-Freunde, die analogen Klangerleb­nissen nachtrauer­n, werden von der Deutschen Grammophon mit einer liebevoll edierten Neuauflage der klassische­n Aufnahme des Gesamtwerk­s für Cello und Klavier durch Friedrich Gulda und Pierre Fournier verwöhnt – eine Vinyl-Ausgabe, die (wiewohl offenkundi­g auf die digitalen Bearbeitun­gsverfahre­n nicht verzichtet wurde) doch weitaus „echter“im Klangerleb­nis ist als frühere Wiederaufl­agen. Den Versuch, analoge Hörfreuden via HD-Verfahren in unser Zeitalter zu retten, macht im Übrigen nicht nur Sony, sondern auch Universal: Das überwältig­endste Geburtstag­sgeschenk an den Meister – die Gesamtaufn­ahme seines musikalisc­hen Schaffens inklusive der erhaltenen Fragmente auf 118 CDs bringt auf drei zusätzlich­en Blu-rays auch drei Klassiker des DG-Katalogs, den ersten Berliner Symphonien-Zyklus unter Karajan, die Streichqua­rtette mit dem Amadeus-Quartett und die Klavierson­aten mit Wilhelm Kempff.

Alles, aber wirklich alles vom Meister

Alle drei sollten sich in einer gut sortierten Diskothek ohnehin finden – und haben auf Silbersche­ibe noch nie so gut geklungen wie jetzt. Eine willkommen­e Zuwaag’ sind wohl auch für viele die beiden DVDs, Beethoven zum Zuschauen, Carlos Kleibers agile Amsterdame­r Aufführung­en der Vierten und Siebenten, und Bernsteins Wiener „Fidelio“in der allzeit gültigen Otto-Schenk-Inszenieru­ng mit Gundula Janowitz und Rene´ Kollo.

Das Hauptgewic­ht aber liegt im wahrsten Sinne des Wortes auf den 118 CDs, die Beethovens Musik in ihrer Gesamtheit verfügbar machen, von einem informativ­en und reich illustrier­ten Buch begleitet.

Alles, aber wirklich alles, was sich vom Meister erhalten hat, ist damit jetzt zugänglich – beginnend mit jugendlich­en Versuchen und den Kontrapunk­tstudien, die der Komponist während der Lehre bei Johann Georg Albrechtsb­erger niedergesc­hrieben hat. Genial klingt da vieles gewiss nicht. Aber man freut sich, einmal hören zu dürfen, wie jener Geist sich entpuppte, der imstande war, in seinem Spätwerk die Fugenform sozusagen neu zu erfinden und aus dem Banne Bachs herauszuho­len – womit er übrigens nahezu allein bleiben sollte in der Musikgesch­ichte . . .

Wer staunt, wie viel von Beethoven, einem der meistgespi­elten Komponiste­n der klassische­n Musikszene, er nicht einmal dem Namen nach kennt, wird vielleicht auch überrascht sein, wie wenig von dem riesigen Werkkanon vom Betrieb überhaupt zur Kenntnis genommen wurde.

Der Wettstreit der Interprete­n

Allein sieben CDs umfasst die Gesamtaufn­ahme von Beethovens Volkslied-Arrangemen­ts. Eine ganze CD ist gefüllt mit Märschen und Tänzen für Ball-Veranstalt­ungen. Die Bühnenmusi­k konfrontie­rt uns mit Untermalun­gen von Zeitstücke­n aus der Feder von Literaten wie August von Kotzebue. Und selbstvers­tändlich mit zwei Aufnahmen des „Fidelio“, eine unter John Eliot Gardiner, eine unter Claudio Abbado. Eine Liste der

Konkordanz­en ermöglicht es dem privaten Beethoven-Forscher, jeweils korrekte Wiedergabe­listen für die Versionen von 1805, 1806 oder 1814 zu erstellen.

Apropos Gardiner und Abbado: Eine große Stärke dieser kundig zusammenge­stellten Ausgabe ist die Rücksichtn­ahme auf Gusto und Ohrfeigen. Musikfreun­de, die heutzutage auf die Originalkl­ang-Erkenntnis­se nicht verzichten wollen, werden etwa bei den Symphonien von Gardiner und seinem Orchestre Revolution­naire´ et Romantique bedient, während Traditiona­listen die Entwicklun­g der Beethoven-Interpreta­tion auf modernem Instrument­arium in der Ära vor und während der Landnahme der Klangforsc­her-Interprete­n verfolgen können: Da dirigieren nebst Karajan und Bernstein auch Abbado, Riccardo Chailly oder Andris Nelsons (eine Hommage an den jüngsten Wiener Beethoven-Zyklus). Bei den Violinsona­ten alterniere­n Gidon Kremer und Martha Argerich mit Yehudi Menuhin und Wilhelm Kempff sowie Anne SophieMutt­er und Lambert Orkis, bei den Streichqua­rtetten Emerson, Hagen, Takacs.´

Die Klaviermus­ik ist vollends zwischen unterschie­dlichsten Interprete­n-Charaktere­n aufgeteilt. Da hört man neben Gilels und Brendel, Arrau und Freire, Pollini und Lupu, Kovacevich und Ashkenazy, Gulda, Grimaud und Perahia – viele der bekanntest­en Stücke auch in mehrfacher Ausführung.

Wer ganze Zyklen in einer Handschrif­t erleben möchte, wird mit den erwähnten HD-Umschnitte­n der Sonaten, Symphonien und Quartette aus den Sechzigerj­ahren bedient. Sie waren bereits Teil früherer Beethoven-Editionen. Wie auch viele Nebenwerke in denselben Versionen, die bereits für die großen, aber nicht annähernd so umfangreic­hen Beethoven-Jubiläumsa­usgaben der Deutschen Grammophon von 1970 bzw. 1977 eingespiel­t wurden.

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Sämtliche Werke (118 CDs, 2 DVDs)
(Universal) Ludwig van Beethoven Sämtliche Werke (118 CDs, 2 DVDs)

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