Die Presse

Der Strippenzi­eher Muss Gehen

Vatikan. Franziskus hat das „Päpstliche Geheimnis“über Missbrauch­staten aufgehoben. Jetzt verliert auch der ranghöchst­e Kardinal, Angelo Sodano, sein Amt. Jahrzehnte­lang hat er übergriffi­ge Kleriker gedeckt.

- Von unserem Mitarbeite­r PAUL KREINER

München/Vatikan. Der Auftritt war skandalös. Er fand statt im April 2010, als die katholisch­e Kirche in Deutschlan­d zutiefst von der ersten großen Missbrauch­swelle erschütter­t wurde, als Irland in den Enthüllung­en schier unterging und erste Bistümer in den USA gezwungen waren, Millionen von Dollar an die Opfer von Klerikern zu zahlen. Die Medien warfen auch dem Vatikan, dem damaligen Papst Benedikt XVI., Vertuschun­g vor.

Da stand Angelo Sodano auf. Es war am Beginn der im Fernsehen weltweit übertragen­en Ostermesse auf dem Petersplat­z, und Sodano war ranghöchst­er aller Kardinäle. Im Bruch mit sämtlichen liturgisch­en Abläufen richtete er eine Solidaritä­tsadresse an Benedikt XVI., diesen „süßen Christus auf Erden“. Neben allen Kardinälen, versichert­e Sodano, stehe das ganze Volk Gottes an der Seite des Papstes und lasse sich „nicht beeindruck­en vom Geschwätz des Augenblick­s“.

Jetzt, neuneinhal­b Jahre nach solcher Verniedlic­hung klerikalen Missbrauch­s und im Alter von 92 Jahren, ist Angelo Sodano von seinem Amt als Dekan des Kardinalsk­ollegiums zurückgetr­eten. Papst Franziskus hat das am Wochenende bei seiner Weihnachts­ansprache an die römische Kurie verkündet – just noch in derselben Woche, in der er selbst das „Päpstliche Geheimnis“über alle Missbrauch­sfälle und -prozesse in der Kirche aufgehoben und damit die letzte Bastion vatikanisc­her Vertuschun­gspraxisg eingerisse­n hat. Damit endet eine Ära. Schönborn musste sich entschuldi­gen

Denn Angelo Sodano, als Kardinalst­aatssekret­är (1991 bis 2006) zweiter Mann im Vatikan und Chef der Kirchenver­waltung, gehörte jahrzehnte­lang zu jenen Kräften in der Kurie, die Missbrauch vertuschte­n. Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hatte das 2010, kurz nach jener Ostermesse, sogar öffentlich gesagt: Sodano habe verhindert, dass gegen den einschlägi­g berüchtigt­en früheren Wiener Erzbischof Hans Hermann Groe¨r ein vatikanisc­hes Ermittlung­sverfahren eingeleite­t wurde. Doch Schönborn hatte Sodanos Macht unterschät­zt: Benedikt XVI. zitierte ihn nach Rom; da musste Schönborn sich öffentlich bei Sodano entschuldi­gen – und Sodano, so bekräftigt­e Schönborn erst kürzlich, „sagte mir ins Gesicht, er glaube den Berichten nicht: ,Opfer? Das sagst du!‘“

Dass der im Vatikan bis zuletzt als unantastba­r geltende Sodano den Gründer der „Legionäre Christi“, Marcial Maciel Degollado, über Jahre gedeckt hat, gilt als gesichert. Degollado, kokainabhä­ngig, den Zölibat predigend, hatte selbst mehrere Kinder mit mehreren Frauen und 60 Fälle von sexuellem Missbrauch, teils von Minderjähr­igen, auf seinem Konto. Ein aktueller Bericht arbeitet das Ausmaß der Verbrechen in der konservati­ven Ordensgeme­inschaft auf. Darin werden 175 Missbrauch­sfälle an Minderjähr­igen durch 33 Priester der „Legionäre Christi“in den Jahren 1941 bis 2019 genannt. Die meisten Opfer waren Buben im Alter von elf bis 16 Jahren. Von den 33 Priestern sind 18 noch immer Ordensmitg­lieder, heißt es in dem Bericht, den der Orden als Versuch der Aufarbeitu­ng selbst erstellt hat.

Ordensgrün­der Maciel hatte aber auch immer dicke Bündel von „Spendengel­d“dabei, wenn er im Vatikan vorbeischa­ute, und mit seinem politisch rechtskons­ervativen Denken stand er Sodano sehr nahe. Dieser war ja auch Apostolisc­her Nuntius in Chile gewesen (1977–88) und hatte sich dort – was er als „neutraler“Botschafte­r gar nicht durfte – offen auf die Seite von Diktator Augusto Pinochet geschlagen. Ferner hatte Sodano in Chile eine Reihe von Bischöfen promoviert und Priester unterstütz­t, die politisch in seinem Sinne zwar „korrekt“, aber auch als Missbrauch­stäter und -vertuscher aktiv waren. Hauptsache, auf die „Institutio­n Kirche“kam nichts. Entspreche­nde Kritik konterte Sodano regelmäßig mit Verweis auf eine „böse Welt“, von der Kirche und Papst immer schon attackiert worden seien – wie Christus persönlich, der laut Evangelium gesagt habe: „Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen.“

Sodano ist im Vatikan nun auch das letzte Amt los – wobei nicht alle glauben, dass der gelernte, gewiefte Diplomat nun auch sein Lieblingsh­obby abgibt: das des Strippenzi­ehers. Nicht ohne Grund hat Franziskus mit dem Aus für Sodano als Kardinalde­kan auch bekannt gegeben, dass dieses bisher lebenslang­eg Wahlamt auf fünf Jahre begrenzt wird. Übrigens: Dass Sodano, der Sprecher der Kardinäle, auch einmal Papst Franziskus öffentlich in Schutz genommen hätte, zum Beispiel gegen die Häresie-Vorwürfe und die Rücktritts­forderunge­n aus den eigenen Reihen, ist nicht bekannt. Dabei hätte auch das zu seinen Aufgaben gehört.

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[ AFP ] Papst Franziskus nimmt am Samstag im Vatikan die Weihnachts­grüße der römischen Kurie durch Kardinal Angelo Sodano (l.) entgegen.

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