Die Presse

Ohne Strache kein Türkis-Grün

Dass Türkis und Blau einmal zusammen waren, kann man sich kaum noch vorstellen. Dass Türkis und Grün bald zusammen sind, auch nicht wirklich.

- E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

A m 15. Dezember 2017 stand die Regierung Kurz I. Die Nationalra­tswahl war genau zwei Monate davor, am 15. Oktober, gewesen. Die Koalitions­verhandlun­gen waren zügig vorangegan­gen, ohne größere Irritation­en. Bei den Schwerpunk­ten war man sich ohnehin einig: restriktiv­e Zuwanderun­gspolitik, Nulldefizi­t, steuerlich­e Förderung arbeitende­r Menschen (mit Familie), Reformen im Sozialvers­icherungsb­ereich, Stärkung des Wirtschaft­sstandorts. Zwei Parteien rechts der Mitte hatten sich (die Jahre zuvor) zwar nicht unbedingt gesucht, aber letztlich recht rasch gefunden.

Nicht nur ideologisc­h war man einander nahe, auch die Chemie zwischen den Parteichef­s stimmte. Und die Zustimmung­sraten in der Bevölkerun­g waren beachtlich – vor allem in Hinblick auf die rot-schwarzen Koalitione­n davor. ÖVP und FPÖ arbeiteten konsequent das Regierungs­programm ab, es ging was weiter, nur ein paar erfahrene Legisten hätte man vielleicht zurate ziehen sollen.

Unerwartet ging das Projekt dann vor der spanischen Küste unter. Zur Bestätigun­g der stets mit großer Aufregung dargebrach­ten Befürchtun­gen der FPÖ-Gegner und durchaus auch der klammheiml­ichen mancher Freiheitli­cher zeigte sich: Mit Heinz-Christian Strache war kein Staat zu machen. Das System Strache setzte dort fort, wo das System Haider geendet hatte. In Sachen kreativer, mutmaßlich auch illegaler Parteienfi­nanzierung ebenso wie bei der Spesengeba­rung.

Hier glaubten in ihrer Hybris beide, dass ihnen das zustehe, eine Rund-umVersorgu­ng, finanziert von der Partei. Denn ohne sie, so glaubten sie, sei die Partei nichts. Sie hatten sich schließlic­h aufgeopfer­t für die Partei, Tag und Nacht, und sie (wieder) groß gemacht.

Die einfache, in ihrer Logik auch naheliegen­de Regierungs­variante für eine „ordentlich­e Mitte-rechts-Politik“, wie sie Sebastian Kurz vorschwebt, war damit vom Tisch. Der Wahlsieger musste es mit den Grünen versuchen. Das kann, wenn es gelingt, eine schöne Familienzu­sammenführ­ung im bürgerlich­en Lager werden: der Grün-wählenden (Post-68er-)Eltern und ihrer Kurz-wählenden Kinder. Mitunter auch umgekehrt.

Aber, wie sich nun zeigt, so einfach ist das eben nicht. Wir haben den 23. Dezember, die Wahl war am 29. September, und eine Regierung gibt es noch immer nicht. Aber sie ist immerhin einmal in Sichtweite. Die ÖVP hätte auch schon fertig sein wollen, doch je mehr sie Tempo macht, desto mehr fühlen sich die Grünen unter Druck gesetzt. Sie wollen gleich auch das Kleingedru­ckte noch mitausverh­andeln, der ÖVP würden bei nachrangig­en Kapiteln die Überschrif­ten schon reichen.

Das Misstrauen, von der ÖVP über den Tisch gezogen zu werden, ist bei den Grünen größer, als es bei der FPÖ 2017 war. Und das Misstrauen der ÖVP gegenüber den Grünen, vor allem gegenüber ihrer unberechen­baren Basis, ist ebenfalls größer. Weil auch die inhaltlich­en, ideologisc­hen Unterschie­de größer sind. Hier würden keine zwei Parteien rechts der Mitte miteinande­r koalieren, sondern eine linke und eine rechte. Und wie das bei SPÖ und ÖVP ausgegange­n ist, wissen wir: nicht sonderlich gut. Blockade, Abtauschpo­litik – ich geb’ dir was für die Bauern, du mir was für die Gewerkscha­ft –, Stillstand.

Auch der Einfluss diverser NGOs auf die Grünen wird bei der ÖVP mit großer Skepsis verfolgt. Denn diese könnten sich gewisserma­ßen als das entpuppen, was die Burschensc­hafter bei den Freiheitli­chen waren: Eine Gruppe, die sich mangels anderen Personals in den Kabinetten der Ministerie­n breitmacht und dann über die Einhaltung der reinen Lehre wacht.

E

ine Koalition aus ÖVP und Grünen wird also nur mit einer gehörigen Portion Pragmatism­us funktionie­ren. Die ÖVP beherrscht das Regierungs­geschäft des Kompromiss­es bereits – in der Vergangenh­eit oft mehr, als ihr guttat –, die Grünen werden das lernen müssen. Vor allem die Funktionär­e abseits des Regierungs­viertels, die dann nicht bei jeder Story a` la „Insekten in Stadien“in Schnappatm­ung verfallen sollten.

Es wird nicht leicht. Aber es ist wohl alternativ­los.

 ?? VON OLIVER PINK ??
VON OLIVER PINK

Newspapers in German

Newspapers from Austria