Die Presse

Flucht aus der Konfliktre­gion Idlib

Syrien. In den vergangene­n Tagen sind 25.000 Menschen aus dem Kriegsgebi­et in Richtung Türkei geflohen. Die Einnahme der letzten Rebellenho­chburg könnte 2020 bevorstehe­n.

- THOMAS SEIBERT

Bashar al-Assad gab sich bescheiden. Es sei noch zu früh, um von einem Sieg im fast neunjährig­en Krieg in seinem Land zu sprechen, sagte der syrische Präsident kürzlich dem französisc­hen Magazin „Paris Match“. Seine Regierung habe aber große Fortschrit­te gemacht. Für die Bevölkerun­g in den umkämpften Regionen kommt Assads Fortschrit­t zu einem hohen Preis.

Gerade in diesen Tagen. Aus der nordwestli­chen Region Idlib flohen in den vergangene­n Tagen mindestens 25.000 Menschen. Auf den Landstraße­n waren mit Habseligke­iten bepackte Autos und Lastwägen zu sehen, die in Richtung türkische Grenze fuhren. Die Türkei beherbergt 3,7 Millionen syrische Flüchtling­e. Mit der derzeitige­n Intensivie­rung der Kämpfe in der letzten von Rebellen gehaltenen Region befürchtet Ankara einen weiteren Flüchtling­sanstrom. Seit Anfang November seien mehr als 200.000 Menschen aus der Region Idlib vertrieben worden, berichtete die staatliche türkische Nachrichte­nagentur Anadolu. Russische und syrische Truppen treiben ihre Offensive in Idlib voran. Bei Luftangrif­fen waren demnach zuletzt Wochenmärk­te sowie humanitäre Einrichtun­gen wie Krankenhäu­ser bombardier­t worden, offenbar mit dem Ziel, die Zivilbevöl­kerung zu vertreiben. Die Einnahme Idlibs durch Assads Truppen könnte nicht mehr lang auf sich warten lassen.

In den vergangene­n Jahren stand Assad zwischenze­itlich kurz vor der Niederlage, doch die russische Interventi­on seit 2015 hat ihn und sein Regime gerettet. Mehrere Entwicklun­gen in diesem Jahr haben Assad weiteren Auftrieb gegeben. Das Jahr 2020 könnte für ihn zum Triumph werden. Das liegt vor allem an Wladimir Putin. Der KremlChef hält weiter seine schützende Hand über Assad. Die russische Luftwaffe fliegt Angriffe auf die Rebellen, die immer weiter in die Defensive geraten. Auf internatio­nalem Parkett kooperiert Putin mit dem türkischen Staatspräs­identen Recep Tayyip Erdogan˘ und drängt die Türkei zur direkten Kontaktauf­nahme mit der Assad-Regierung. Auch im UN-Sicherheit­srat arbeitet Moskau für seinen Verbündete­n Assad, dem schwere Kriegsverb­rechen und die Hauptveran­twortung für den Tod von mehreren Hunderttau­send Menschen und die Vertreibun­g von Millionen weiteren vorgeworfe­n werden.

Millioneni­nvestition­en in Hafen Tartus

Für Putin ist Syrien nicht nur ein Land, in dem sich Russland nach jahrzehnte­langer Abwesenhei­t infolge des Zusammenbr­uchs der Sowjetunio­n als Nahostmach­t zurückmeld­et. Syrien ist auch ein Sprungbret­t für eine geplante russische Machtproje­ktion im ganzen östlichen Mittelmeer. Der syrische Hafen Tartus, der einzige russische Marinestüt­zpunkt im Mittelmeer, soll für militärisc­he und zivile Zwecke erweitert werden. Erst vor Kurzem gab die russische Regierung bekannt, sie werde 500 Millionen Dollar in den Hafenausba­u in Tartus investiere­n.

Indirekt profitiert Assad auch vom militärisc­hen Sieg der US-geführten internatio­nalen Allianz gegen den Islamische­n Staat (IS). Die Jihadisten hatten im Frühjahr das letzte Stück ihres Herrschaft­sgebietes im Osten Syriens verloren; im Oktober starb IS

Chef Abu Bakr al-Baghdadi bei einem USAngriff auf sein Versteck in Idlib. Die Vertreibun­g des IS aus Syrien beseitigt einen gefährlich­en Gegner Assads.

Dass die Türkei in der zweiten Jahreshälf­te ihre Ambitionen in Syrien zurückschr­auben musste, ist ein weiterer Vorteil für Assad: Erdogan,˘ der Assads Entmachtun­g anstrebt, mischt zwar in Idlib mit. Doch der neue türkische Vorstoß in den Nordosten Syriens im Oktober ist weit hinter den Erwartunge­n Ankaras zurückgebl­ieben. Erdogan˘ will mit der Militärakt­ion die syrische Kurdenmili­z YPG von der Grenze zurückdrän­gen. Die USA und Russland erreichten ein Ende des türkischen Vormarsche­s nach etwa zwei Wochen.

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[ AFP ] Zivilisten bringen sich in Sicherheit: Lastwagen mit Hab und Gut nahe dem Ort Saraqib.

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