Flucht aus der Konfliktregion Idlib
Syrien. In den vergangenen Tagen sind 25.000 Menschen aus dem Kriegsgebiet in Richtung Türkei geflohen. Die Einnahme der letzten Rebellenhochburg könnte 2020 bevorstehen.
Bashar al-Assad gab sich bescheiden. Es sei noch zu früh, um von einem Sieg im fast neunjährigen Krieg in seinem Land zu sprechen, sagte der syrische Präsident kürzlich dem französischen Magazin „Paris Match“. Seine Regierung habe aber große Fortschritte gemacht. Für die Bevölkerung in den umkämpften Regionen kommt Assads Fortschritt zu einem hohen Preis.
Gerade in diesen Tagen. Aus der nordwestlichen Region Idlib flohen in den vergangenen Tagen mindestens 25.000 Menschen. Auf den Landstraßen waren mit Habseligkeiten bepackte Autos und Lastwägen zu sehen, die in Richtung türkische Grenze fuhren. Die Türkei beherbergt 3,7 Millionen syrische Flüchtlinge. Mit der derzeitigen Intensivierung der Kämpfe in der letzten von Rebellen gehaltenen Region befürchtet Ankara einen weiteren Flüchtlingsanstrom. Seit Anfang November seien mehr als 200.000 Menschen aus der Region Idlib vertrieben worden, berichtete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Russische und syrische Truppen treiben ihre Offensive in Idlib voran. Bei Luftangriffen waren demnach zuletzt Wochenmärkte sowie humanitäre Einrichtungen wie Krankenhäuser bombardiert worden, offenbar mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung zu vertreiben. Die Einnahme Idlibs durch Assads Truppen könnte nicht mehr lang auf sich warten lassen.
In den vergangenen Jahren stand Assad zwischenzeitlich kurz vor der Niederlage, doch die russische Intervention seit 2015 hat ihn und sein Regime gerettet. Mehrere Entwicklungen in diesem Jahr haben Assad weiteren Auftrieb gegeben. Das Jahr 2020 könnte für ihn zum Triumph werden. Das liegt vor allem an Wladimir Putin. Der KremlChef hält weiter seine schützende Hand über Assad. Die russische Luftwaffe fliegt Angriffe auf die Rebellen, die immer weiter in die Defensive geraten. Auf internationalem Parkett kooperiert Putin mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan˘ und drängt die Türkei zur direkten Kontaktaufnahme mit der Assad-Regierung. Auch im UN-Sicherheitsrat arbeitet Moskau für seinen Verbündeten Assad, dem schwere Kriegsverbrechen und die Hauptverantwortung für den Tod von mehreren Hunderttausend Menschen und die Vertreibung von Millionen weiteren vorgeworfen werden.
Millioneninvestitionen in Hafen Tartus
Für Putin ist Syrien nicht nur ein Land, in dem sich Russland nach jahrzehntelanger Abwesenheit infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion als Nahostmacht zurückmeldet. Syrien ist auch ein Sprungbrett für eine geplante russische Machtprojektion im ganzen östlichen Mittelmeer. Der syrische Hafen Tartus, der einzige russische Marinestützpunkt im Mittelmeer, soll für militärische und zivile Zwecke erweitert werden. Erst vor Kurzem gab die russische Regierung bekannt, sie werde 500 Millionen Dollar in den Hafenausbau in Tartus investieren.
Indirekt profitiert Assad auch vom militärischen Sieg der US-geführten internationalen Allianz gegen den Islamischen Staat (IS). Die Jihadisten hatten im Frühjahr das letzte Stück ihres Herrschaftsgebietes im Osten Syriens verloren; im Oktober starb IS
Chef Abu Bakr al-Baghdadi bei einem USAngriff auf sein Versteck in Idlib. Die Vertreibung des IS aus Syrien beseitigt einen gefährlichen Gegner Assads.
Dass die Türkei in der zweiten Jahreshälfte ihre Ambitionen in Syrien zurückschrauben musste, ist ein weiterer Vorteil für Assad: Erdogan,˘ der Assads Entmachtung anstrebt, mischt zwar in Idlib mit. Doch der neue türkische Vorstoß in den Nordosten Syriens im Oktober ist weit hinter den Erwartungen Ankaras zurückgeblieben. Erdogan˘ will mit der Militäraktion die syrische Kurdenmiliz YPG von der Grenze zurückdrängen. Die USA und Russland erreichten ein Ende des türkischen Vormarsches nach etwa zwei Wochen.