Zahnarzt muss vor drohender Gesichtslähmung warnen
Wurzelbehandlung. Patientin mit bleibenden Schäden nach einer Zahnbehandlung bekommt rund 10.000 Euro Schmerzengeld.
Jeder zweite Zahnarzt kenne aus seiner Praxis einen solchen Zwischenfall, heißt es in den gerichtlichen Feststellungen zu einer Schadenersatzklage einer Patientin gegen ihre Ärztin: Bei einer Wurzelbehandlung durch Spülung des Wurzelkanals kann es selten, aber doch zu Gewebeschäden und Lähmungserscheinungen im Gesicht kommen. Nicht nur das sollten Zahnärzte aber wissen, sondern auch, dass sie ihre Patienten über dieses Risiko aufklären müssen. Sonst riskieren sie nämlich, Schadenersatz leisten zu müssen.
In diesem Fall realisierten sich gleich beide Risken, jenes für die Patientin wie auch das für die Ärztin. Die Medizinerin hatte ihrer Patientin erklärt, dass zum Erhalt eines bestimmten Zahns eine Wurzelbehandlung notwendig sei. Sie klärte sie aber weder mündlich noch mit einem Aufklärungsbogen über die Vorgänge bei der Behandlung auf – und ebenso wenig über die typischen Risken wie eben den drohenden Gewebeschaden bei der Spülung des Wurzelkanals samt Lähmungserscheinungen im Gesicht oder das mögliche Absterben des Wangengewebes. Die Behandlung war auch nicht derart dringend, dass keine Zeit für diese Aufklärung geblieben wäre. Jedenfalls spülte die Ärztin den Wurzelkanal, mit der Folge, dass umliegendes Gewebe beschädigt wurde. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird das Gesicht der Patientin dauerhaft asymmetrisch bleiben, auch das Taubheitsgefühl wird die Frau wohl nicht mehr loswerden.
Dafür bekommt sie jetzt rund 10.000 Euro Schmerzengeld. Der Oberste Gerichtshof (OGH) bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz und des Oberlandesgerichts Graz, wonach die Ärztin ihre Aufklärungspflicht verletzt hatte. Deren Umfang hängt von verschiedenen Faktoren ab: Liegen, wie in diesem Fall, typische Gefahren vor, ist sie verschärft, auch reicht sie umso weiter, je weniger der Eingriff aus Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder geboten ist. „Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind“, so der OGH (1 Ob 199/19z). Das Urteil der Vorinstanzen, wonach die Ärztin das Fehlen der Aufklärung verantworten muss, ist nicht zu beanstanden.