Die Presse

Krankensta­nd braucht neue Regeln

Gastkommen­tar. Die Arbeitgebe­r sind damit gescheiter­t, neue Regeln für den Krankensta­nd durchzuset­zen. Dabei gäbe ein Wegfall des Informatio­nsgefälles auch Arbeitnehm­ern Sicherheit.

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War es nur viel Lärm um nichts? Vorige Woche sickerte durch, dass die Arbeitgebe­rvertreter die Regeln für die Kontrolle von Krankenstä­nden verschärfe­n wollten. Doch die Forderung, bei Krankenstä­nden auch die exakte Diagnose zu erfahren, überspannt­e offenbar den Bogen. Am Ende der Sitzung des Überleitun­gsausschus­ses blieb in der „Krankenord­nung“also vorerst alles beim Alten – die Arbeitgebe­r werden damit auch keine Möglichkei­t bekommen, bei Krankenstä­nden von Mitarbeite­rn eine Überprüfun­g durch die Sozialvers­icherung anzuordnen.

Dabei hätte eine Neuregelun­g der Überprüfun­gsrechte sowohl für Arbeitnehm­er als auch Arbeitgebe­r durchaus als positives Signal gewertet werden können. Die Erfahrung zeigt nämlich, dass die bestehende Rechtslage nicht nur eine Fülle von Missbrauch­sanreizen bietet, sondern auch zu erhebliche­r Rechtsunsi­cherheit beim Thema Krankensta­ndspflicht­en führt.

Aktuell haben Arbeitgebe­r lediglich Anspruch darauf, vom Arbeitnehm­er eine ärztliche Bestätigun­g des Krankensta­ndes zu verlangen, die zumindest den Beginn des Krankensta­ndes ausweist – eine ausdrückli­che Pflicht zur Benennung der (voraussich­tlichen) Dauer besteht nur bei Arbeitern.

Die Diagnose oder die Verhaltens­pflichten des Mitarbeite­rs während des Krankensta­ndes müssen in der ärztlichen Bestätigun­g nicht angegeben werden. Auch gibt es keine gesetzlich festgelegt­en Rechte der Arbeitgebe­r, das tatsächlic­he Vorliegen einer Erkrankung, die sich daraus ergebende Arbeitsunf­ähigkeit oder ein gesundheit­sfördernde­s Verhalten der Mitarbeite­r während des Krankensta­ndes zu kontrollie­ren.

Dieser Mangel an Überprüfun­gsmöglichk­eiten steht in einem Spannungsv­erhältnis mit der von der Rechtsprec­hung klar anerkannte­n Pflicht von Mitarbeite­rn, während des Krankensta­ndes alles zu unterlasse­n, was objektiv zu einer Gefährdung des Genesungsp­rozesses beiträgt. Ein Verstoß gegen diese Verpflicht­ung kann sogar eine Entlassung rechtferti­gen.

Wie kann der Arbeitgebe­r aber feststelle­n, ob sich der Mitarbeite­r genesungsf­ördernd und damit rechtmäßig verhält, wenn er nicht weiß, woran dieser erkrankt ist und welches Verhalten medizinisc­h indiziert ist? In der Praxis führt dies oft dazu, dass Arbeitgebe­r bei einem vermuteten Krankensta­ndsmissbra­uch verdeckte Beobachtun­gen (z. B. durch Detektive) beauftrage­n oder gleich eine Entlassung auf Verdacht ausspreche­n.

Wenn der Mitarbeite­r dann gerichtlic­h gegen die Entlassung vorgeht, muss regelmäßig ein aufwendige­s Beweisverf­ahren zur Rechtmäßig­keit des Krankensta­ndes und zu eventuelle­n Missbrauch­shandlunge­n durchgefüh­rt werden. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss der Mitarbeite­r auch den behandelnd­en Arzt als Zeugen aussagen lassen, um die Richtigkei­t der Krankensta­ndsmeldung bestätigen zu können. All dies ist nicht nur für den Arbeitgebe­r, sondern auch für den Mitarbeite­r mit einer hohen finanziell­en und psychische­n Belastung verbunden. Egal, wie das arbeitsrec­htliche Verfahren ausgeht, an eine Fortführun­g des Arbeitsver­hältnisses ist dann kaum mehr zu denken.

Viel von diesem Ungemach könnte man sich ersparen, wenn eine klare Pflicht des behandelnd­en Arztes bestünde, in der Krankensta­ndsbestäti­gung die Verhaltens­pflichten des Arbeitnehm­ers während des Krankensta­ndes und die erlaubten Ausgehzeit­en ausdrückli­ch festzuhalt­en. Dies hätte einen zweifachen Effekt: Einerseits müsste sich der Arzt mit der individuel­len Erkrankung und dem Genesungsv­erlauf des Arbeitnehm­ers viel genauer als bisher auseinande­rsetzen – nur dann kann er einigermaß­en genau festlegen, welche Handlungen zur Genesung, wie z. B. eine zeitlich näher definierte Bettruhe, notwendig sind. Das würde Gefälligke­itsbestäti­gungen wohl stark eindämmen. Anderersei­ts hätte der Arbeitnehm­er deutlich mehr Sicherheit, wann er aufgrund seiner Aktivitäte­n im Krankensta­nd nicht entlassung­sgefährdet ist.

Darüber hinaus sollte auch bei den Angestellt­en (nicht nur den Arbeitern) eine klare gesetzlich­e Pflicht bestehen, in der ärztlichen Bestätigun­g die voraussich­tliche Dauer des Krankensta­ndes anzugeben. Dies würde zur genaueren Auseinande­rsetzung des Arztes mit der berufliche­n Tätigkeit des Mitarbeite­rs beitragen, zudem erhielte der Arbeitgebe­r die Chance, mehr Planungssi­cherheit beim Einsatz von Ersatzarbe­itskräften zu erlangen. Dies hätte wiederum für den Mitarbeite­r den Vorteil, nicht wegrationa­lisiert zu werden, weil wegen der Unsicherhe­it über die Länge des Krankensta­ndes eine Ersatzkraf­t dauerhaft eingestell­t wurde.

Es bleibt also auch im Interesse von Arbeitnehm­ern zu hoffen, dass die im Überleitun­gsausschus­s als Minimalkom­promiss beschlosse­ne „genauere Analyse“dazu führt, dass das Thema noch einmal in Ruhe diskutiert werden kann.

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[ APA/Herbert Pfarrhofer ] Der Überleitun­gsausschus­s der ÖGK fand vorerst nur einen Minimalkon­sens.

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