Hier ist Rapunzels Turm aus Tetris-Blöcken
Staatsoper. Nicht nur die Zaubereien der Hexe kommen bei „Persinette“– der ersten Kinderopernpremiere auf der großen Bühne seit 2015 – aus der digitalen Welt. Die Bilder sind poetisch, die Musik ist sangbar, immer tonal und opulent.
Persinette, dein Haar lass herab“, ertönte es. Da wickelte sich der dicke Zopf um einen projizierten Turm, sodass die ebenfalls per Videodesign hingeworfene Hexe diesen hinaufkriechen und – zum Gaudium des Publikums – kopfüber hinabrutschen konnte . . . Es ist der RapunzelStoff, der sich hinter dem französischen Namen von Albin Fries Kinderoper verbirgt, die am Samstag an der Staatsoper uraufgeführt wurde. Opulenz stand im Vordergrund, in der Musik von Fries ebenso wie in Matthias von Stegmanns Inszenierung.
Erstmals seit 2015 war damit eine Kinderopernpremiere auf der großen Bühne der Staatsoper zu sehen. Auf dieser hat Stegmann – als Zugeständnis an die Sehgewohnheiten der heutigen Jugend? – für die magischen Bilderwelten, die er erschaffen möchte, zahlreiche projizierte Landschaften von Bühnenbildner Marc Jungreithmeier verwendet. Schon als Persinettes Vater zum Turm der Hexenfigur Alse rannte, tat er dies nicht selbst, sondern man sah sein digitales Alter Ego durch den videodesignten Wald hetzen. Danach wurde Tetris gespielt, aus projizierten fallenden bunten Steinen wurde langsam eine burgähnliche Szenerie.
Auch die wehenden Fackeln im Turm wirkten wie aus einem Fantasy-Computerspiel. Ob Wolken zogen, Eiswelten auftauchten, Häuser aus dem Boden wuchsen oder Schneetreiben einsetzte, vieles kam hier aus der Welt des Videodesigns. Gleichzeitig erleichterte diese Vorgehensweise natürlich die Zaubereien der Alse – wenn Ketten um das ganze Turmzimmer gelegt wurden, ging dies per Mausklick schneller. Das ist ein praktikabler Weg, wenngleich auch ein zu hinterfragender, wenn es darum geht, Kinder für das Genre Oper zu begeistern. Auch war der vorübergehende Wechsel zwischen den Sängern und deren digitaler Kopie nicht immer nachvollziehbar. Jedenfalls hatte das Publikum viel zu bestaunen – und die Poesie kam keinesfalls zu kurz. Es sind zauberhafte Bilder, die Stegmann erschaffen hat, und solche, die die üppige Musik von Albin Fries unterstreichen.
Denn nicht nur visuell war „Persinette“opulent, der Komponist hat eine Musik geschaffen, die das große Orchester unter Guillermo Garc´ıa Calvo weite melodische Bögen spannen ließ. Außerdem weiß Fries, der 2018 in Budapest mit dem Bela-´Bartok-´Kompositionspreis ausgezeichnet wurde und auch als Solokorrepetitor an der Staatsoper tätig ist, was er den Sängern zumuten kann. Seine Musik ist sangbar, immer tonal und fordert, ohne zu überfordern – weder die Darsteller noch die Ohren der Zuhörer. Durch Leitmotive gibt er Orientierung und erleichtert es dem jungen Publikum, in seine Oper hineinzufinden, wenn kreischende Klarinetten die Hexe und die Tuba den plumpen Raben begleiteten. Seine Instrumentierung ist dabei einerseits ausschweifend, verliert aber andererseits nie den Bezug zur Realität. Gerade seine Naturschilderungen lassen die tanzenden Schneeflocken, die flatternden Schmetterlinge und den tosenden Wind hören. Trotzdem blieb die Textverständlichkeit teilweise auf der Strecke, was gerade bei einer Kinderoper bedauerlich ist, da die jungen Zuschauer ja oft schwerlich auf der Untertitelanlage mitlesen können.
Die dankbarste Rolle hatte Monika Bohinec als Alse. Eindrücklich und doch niemals zu furchteinflößend für die Allerkleinsten spielte sie die Hexenfigur mit sattem Ton und Präsenz. Mit klaren Höhen gefiel der Prinz, Lukhanyo Moyake, nicht nur der eingesperrten Persinette von Bryony Dwyer, die ihrerseits gut zwischen der kindlichen Begeisterung für die Welt jenseits ihres Turmfensters und der Angst vor der dominanten Alse schwankte, glockenhelle Töne inklusive. Regine Hangler und Orhan Yildiz hatten als Eltern starke Momente, Sorin Coliban brachte als kräftiger Rabe die komische Note ein.
Persinette und ihr Prinz hatten schließlich bei Fries und seiner Librettistin Birgit Mathon, die sich nicht auf Grimms Märchen, sondern auf die französische Urfassung stützte, Glück: Nicht lang, nachdem ihnen Augenlicht und Gehör weggezaubert wurden, bekamen sie diese zurück. Alse hatte eingesehen, dass die Liebe stärker war als ihre Zauberei. Und ihren Komplizen, den Raben, verwandelte Alse gar in einen Mann, der ihr prompt einen Heiratsantrag machte.
So stand der Doppelhochzeit nichts mehr im Wege, und Persinette feierte mit einem mit unzähligen Luftballons geschmückten Brautschleier samt digitalem Bausteine-Feuerwerk – zur Begeisterung der großen und kleinen Zuschauer im gut gefüllten Zuschauerraum der Staatsoper, wo die bilderreiche, poetische Aufführung euphorisch beklatscht wurde.