Zurück in die Shopping-Zukunft
Mall. Die neue American Dream Mall wirbt mit Skipisten, Hochschaubahnen und Golfplätzen. Kann das teuerste Einkaufszentrum der Welt den Kampf gegen den Onlinehandel gewinnen?
Von außen wirkt der weiße Betonkoloss einfach nur riesig. Selbst die 82.000 Plätze fassende Footballarena der New York Giants direkt nebenan erscheint im Vergleich fast schon winzig. Es ist Vorweihnachtszeit, ein Samstag, und Hunderte Parkwächter winken die Autofahrer zu einem der 22.000 Parkplätze. Schnell ist klar: Hier in East Rutherford in New Jersey, knapp 30 Minuten außerhalb Manhattans, ist etwas Gigantisches entstanden: die American Dream Mall, das Einkaufszentrum der Superlative.
5,7 Milliarden
Dollar haben die Immobilienentwickler der kanadischen Triple Five Group in das Projekt gesteckt. Damit ist es laut der Firma, die mit der Mall of America in Minnesota auch das zuvor größte Zentrum der USA betreibt, das teuerste Einkaufsparadies der Welt. Dabei ist das gewaltige Unterfangen noch gar nicht fertig. Im Oktober ging die erste Eröffnungsphase über die Bühne. Voll funktionsfähig wird das Gebäude 2021 sein. Bis dahin werden die Kosten die Marke von sechs Mrd. Dollar übersteigen.
Das Auto ist geparkt, durch die Drehtür im ersten Stock geht es ins Innere des Gebäudes. Noch stehen viele Geschäfte leer, schon bald werden mehr als 400 Läden eröffnen. Als Zielgruppe haben die Entwickler wohlhabende New Yorker Familien, die das Einkaufen mit einem Ausflug für die Kinder verbinden wollen, ausgegeben. Der Luxusladen Saks Fifth Avenue plant ebenso wie der Juwelier Tiffany’s, seine Pforten in der American Dream Mall zu eröffnen.
Damit sich die Sache rentiert, muss sich die Triple Five Group ambitionierte Ziele stecken. 40 Millionen Besucher sollen pro Jahr angelockt werden. Zum Vergleich: Der Disneyland-Park in Kalifornien zählt in etwa 20 Millionen Gäste jährlich. Nicht nur das: Während der durchschnittliche Besucher eines Einkaufszentrums in den USA laut Analysten der National Retail Federation in etwa zwei Stunden bleibt, will die American Dream Mall den Gast sechs Stunden halten. Indem ein Unterhaltungsprogramm geboten wird, das seinesgleichen sucht.
Am Eislaufring vorbeispaziert, erscheint eine gewaltige Glaswand, hinter der ein Wasserpark mit mehr als 30 Rutschen fertiggestellt wird. Die riesige Attraktion – es wird das größte Hallenbad in den USA, was sonst? – wird ebenso wie die überdachte Skipiste und der Golfplatz mit 18 Löchern erst im kommenden Jahr eröffnen. Außerdem geplant: ein Hotel, mehrere Kinos und ein Legoland, in dem sich Kinder vergnügen sollen. Die Sprösslinge spielen, die Eltern geben in den Luxusläden ihr Geld aus, das ist der Plan.
Bereits in Betrieb ist der Nickelodeon-Vergnügungspark mit Dutzenden Hochschaubahnen. „Wenn Sie mal drinnen sind, werden Sie den ganzen Tag bleiben wollen“, meint die Dame an der Kasse. Und tatsächlich trifft man viele Familien an diesem Samstag, die nicht zum Einkaufen hier sind, sondern für 55 Dollar Eintritt einen Tagesausflug in den NickelodeonPark unternehmen. Auf dem Weg durch das Einkaufszentrum werden sie schon noch etwas kaufen, hoffen zumindest die Betreiber.
An einem sensationellen Angebot mangelt es also nicht. Die entscheidende Frage wird vielmehr sein, ob es der Triple Five Group gelingt, den Trend zum Onlinehandel zu stoppen. Die Amerikaner sind zum Volk des Internets verkommen, sie geben mittlerweile deutlich mehr Geld online als in den Geschäften aus. In den fünf Tagen von Thanksgiving bis Cyber Monday – dem Beginn des Weihnachtsgeschäfts und der umsatzstärksten Woche des Jahres – haben laut der National Retail Federation 124 Millionen Menschen in einem Geschäft eingekauft. 142 Millionen Personen haben den Computer oder das Handy benutzt. Tendenz steigend.
Die Vorzeichen für die American Dream Mall sind nicht berauschend. Die sogenannte Vacancy Rate, also der Anteil leer stehender Verkaufsflächen, ist in den Vereinigten Staaten 2019 erstmals auf über zehn Prozent angestiegen. Bis Ende November haben mehr als 9000 Geschäfte die Rollläden endgültig heruntergelassen. Die Vergleichszahl für das Gesamtjahr 2018 liegt bei weniger als 6000.
Viel deutet darauf hin, dass Amazon gewinnt und der herkömmliche Einzelhändler verliert. Das zeigt sich auch an der Börse. Der S&P 500 Retail Index, der den Einzelhandel abbildet, notiert im Vergleich zum Jahresanfang fast unverändert, während der Gesamtindex S&P 500 ebenso wie die Aktie des Technologieriesen zweistellig zugelegt hat. Und doch: Die Triple Five Group will sich nicht beunruhigen lassen. „Wir probieren einen völlig neuen Zugang aus“, sagte Don Ghermezian, der Chef des Betreibers der American Dream Mall.
Denn während das herkömmliche Einkaufszentrum im Schnitt zu drei Vierteln aus Verkaufsfläche und einem Viertel Vergnügungsarena besteht, ist das Verhältnis beim Paradies der Superlative ausgeglichen. Die reine Verkaufsfläche beträgt 280.000 Quadratmeter, die Attraktionen nehmen sogar ein wenig mehr Platz ein. Zur Einordnung: Die Shopping City Süd, Österreichs größtes Einkaufszentrum, bringt es auf eine Fläche von 176.000 Quadratmetern.