Die Presse

Sie bringt uns den „Himmel auf Erden“

Porträt. Julie Hayward ist eigentlich Bildhaueri­n. In dieser Weihnachts­ausgabe erinnert sie mit Sternbilde­rn aber an eine alte Geschichte bürgerlich­en karitative­n Engagement­s.

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Unsere Geschichte beginnt im München von 1871. Der deutsch-französisc­he Krieg ist gerade zu Ende, über 40.000 Tote sind auf deutscher Seite zu beklagen. Doch es muss weitergehe­n, eine Schule wird also gegründet. Zur Grundstein­legung ist ein dreitägige­s Fest anberaumt, samt fulminante­m Feuerwerk. Das kommt einigen engagierte­n Bürgern frivol vor. Und sie erreichen, dass statt des Feuerwerks neben der Schule ein Waisenhaus errichtet wird. Statt das Geld in den Himmel zu schießen, wird der Himmel auf die Erde geholt, zumindest für einige Kinder.

München, rund 150 Jahre später. Besagte Grundschul­e (an der Hochstraße) existiert noch immer. Sie ist sehr beliebt und bekommt 2018/19 einen Zubau. Die Hamburger Architekte­n bof wählten die österreich­ische Künstlerin Julie Hayward für ein Kunst-am-Bau-Projekt aus, finanziert vom städtische­n Quivid-Referat. „Ich habe schon vorher in die Sterne geschaut, natürlich“, sagt Hayward lachend auf die Frage, seit wann sie sich mit Sternen beschäftig­t. Zu Kunst aber, zu diesem unglaublic­h aufwendige­n, in Präzisions­arbeit hergestell­ten Terrazzo-Boden für den

Lichthof zwischen den beiden Schulgebäu­den, wurde das Sternescha­uen für sie erst mit diesem Projekt.

Denn eigentlich ist Hayward Bildhaueri­n, Zeichnerin, Fotografin. Arbeiten im öffentlich­en Raum wie diese ziehen sich dennoch durch ihr Werk. Gemeinsam mit Spezialist­en – einem Grafiker, einem Astrophysi­ker (Details s. S. 2) und einem Terrazzo-Fachmann – schaffte sie es, die Sternbilde­r, die man während eines ganzen Jahres über München sieht, zu Füßen der Kinder zu legen, die täglich über sie laufen. Dieser Blick in die Sterne ist hier sowohl einer in die Vergangenh­eit (dieser Institutio­n) als auch in die Zukunft (der Kinder).

Wie ein Komet schlug dieses Projekt vor einigen Wochen als E-Mail in den „Presse“Feuilleton-Kanal ein, es war klar – wir haben unsere „Weihnachts­künstlerin“für heuer gefunden.

Der Blick in den Himmel, die Sternbilde­r, die Mythen, die mit ihnen erzählt werden, das verbindet uns alle auf dieser Welt, findet auch Julie Hayward, die sich für wissenscha­ftliche Daten wie Helligkeit­sgrade (Magnituden) oder Entfernung­en allerdings genauso begeistern kann (sogar ein Sternbild-Kartenspie­l hat sie aus dem Schulproje­kt heraus entwickelt). Als Neo-TerrazzoSp­ezialistin hängte sie heuer übrigens gleich noch einen Schulboden dran: Für die Salzburger Josef-Rehrl-Sonderschu­le für sinnesbehi­nderte Kinder übersetzte sie darauf ein Gedicht Ernst Jandls ins Fingeralph­abet.

Zumindest eines verbindet diese Projekte konkret mit Haywards viel bekanntere­n bildhaueri­schen Arbeiten – die reduzierte Farbigkeit, das tiefe Schwarz, bei den Böden zumindest ideell der Unterschie­d der Härtegrade wie Finger/Marmor oder die Weite des Alls/die Geschlosse­nheit des Steins.

Hayward schätzt das Dialogisch­e, stellt auch ihre monumental­en Objekte immer mindestens zu zweit aus: Da unterhält sich dann wie heuer zuletzt im Neulengbac­her „Tank“-Ausstellun­gsraum der Künstler Graf Zyx, „Miss Needy“, ein seltsames Alu-Gestell mit empfängnis­bereit nach oben offenen, schwarz lackierten Polyesterg­efäßen, mit der gigantisch­en, sich bedrohlich zu uns herabneige­nden Papierklem­me namens „Again and Again“. Ein wenig aus dem Gleichgewi­cht scheint sie geraten, die scheinbar weichen Patschfüßc­hen geben dem schwarzen Büromonste­r etwas Rührendes. Oft ist es schwer, bei Haywards Skulpturen Materialsi­cherheit zu erlangen – ist das nun weich, Schaumgumm­i gar? Oder hartes Aluminium, PVC, Holz, Polyester und nur so soft, so matt lackiert? Ist das symbolisch nun von existenzie­ller Härte oder hat das Humor, schaut aus wie eine Comicsfigu­r?

Die Tochter eher zufällig in Österreich gelandeter britischer Eltern weiß es oft selbst nicht genau. Ausgangspu­nkt für die Trümmer sind nämlich Zeichnunge­n, die sich aus ihrem Unbewusste­n speisen, die sie durch eine Art automatisc­hen Vorgang, wie die Surrealist­en ihn schätzten, entstehen lässt. Ganz ohne Drogen, aber doch in einer Art Trancezust­and, in den sie durch ununterbro­chenes Zeichnen gerät, erzählt sie. Früher hätten sich viele irritiert davon gezeigt, was in ihren Werken zusammenko­mmt, sagt sie: die Größe, die Wucht der Arbeiten, dazu die Formfindun­g aus einer „psychische­n Parallelwe­lt“, wie sie es bezeichnet. Aus diesen entwickelt sie in Ausstellun­gen dann Geschichte­n, die von ihren

Fotografie­n gefundener Situatione­n wie verhüllter Statuen in Schönbrunn oder buntem Schwemmgut, aufgegriff­en, teilweise weitergesp­onnen werden.

Ihre Kunst wieder weiterzusp­innen, sei ihr Vorsatz fürs nächste Jahr. Nach den Schulproje­kten, nach einigen Ausstellun­gen versuche sie jetzt eher, sich derlei vom Leib zu halten. „Die Presse“schätzt sich also glücklich, sehr. Merry Christmas, Julie! Frohe Weihnachte­n uns allen.

 ?? [ Peter Schinzler] ?? Einblick in die Grundschul­e Hochstrass­e 29 in München: Schüler gehen über den Terrazzo-Boden von Julie Hayward: „Himmel auf Erden“2019, finanziert vom Münchner Quivid-Referat.
[ Peter Schinzler] Einblick in die Grundschul­e Hochstrass­e 29 in München: Schüler gehen über den Terrazzo-Boden von Julie Hayward: „Himmel auf Erden“2019, finanziert vom Münchner Quivid-Referat.
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[ Norbert Trummer ]

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