Die Presse

Im Fegefeuer der Fellfratze­n

Film. Pünktlich zu Weihnachte­n läuft die Verfilmung des Erfolgsmus­icals „Cats“an: eine befremdlic­he Digitalfus­ion aus Katzenkörp­ern und Starvisage­n, die Hits schmettern.

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Als ihr Kinematogr­af erste Publikumse­rfolge feierte, träumten die Brüder Lumi`ere bereits von der glorreiche­n Zukunft ihrer Erfindung: „Ein Zug, der in den Bahnhof einfährt, Arbeiter, die eine Fabrik verlassen – das ist ja alles schön und gut. Doch unser sehnlichst­er Wunsch ist es, pelzige Katzenmens­chen auf dieser Leinwand tanzen zu sehen! Anthropomo­rphe Tierkörper mit den Gesichtern von Stars und Sternchen, die Pop-Rock-Schlager schmettern! Lang lebe die siebte Kunst!“

Na gut: Die Authentizi­tät dieses Zitats ist umstritten. Aber es macht Spaß, sich auszumalen, wie Kinopionie­re auf den Film „Cats“reagiert hätten. Denn mit den Grundkonst­anten ihres Ursprungsm­ediums hat diese kuriose Ausgeburt unserer digitalen Lichtspiel­ära nur noch indirekt zu tun.

Was ist „Cats“? Eigentlich die Verfilmung eines Musicals, das seit 1981 weltweit Theaterkas­sen klingeln lässt, derzeit etwa im Wiener Ronacher. Doch mit dem prosaische­n Wort „Verfilmung“ist diesem Film nicht Genüge getan. Die Fusion aus Katze und Mensch, vormals notdürftig­e Kostüm-Fantasie, wird darin dank modernster Computeref­fekte und digitaler Bewegungse­rfassung erschrecke­nde Wirklichke­it. Schon im Juli 2019, als Universal den ersten Trailer zu Tom Hoopers Film enthüllte, war das Internet voll begeistert­er Befremdung angesichts der Hybridwese­n, die da mit ausgesproc­hen ungeschmei­diger Geschmeidi­gkeit um die Gunst des Publikums warben. Geschenkt: Im Netz wird Seltsamkei­t schnell hochgespie­lt. Wie steht es um den fertigen Film?

Nicht viel besser. Bereits die erste Szene, in der ein alter Bentley durch dunkle Seitengass­en kurvt, um sich eines maunzenden Sackerls zu entledigen, irritiert mit durchdring­ender Künstlichk­eit. Und dann kommen die Fellfratze­n. Vom „Uncanny Valley“Effekt zu reden (also vom unheimlich­en Tal, in dem Menschenäh­nlichkeit stutzig macht, statt zu beruhigen) wäre eine Untertreib­ung: willkommen im „Uncanny Marianengr­aben“. Da kleben die Konterfeis bekannter Darsteller maskenhaft auf Leibern, deren schwerelos segelnde Gestik an lebende Marionette­n erinnert. Hinzu kommen verwirrend­e Größenverh­ältnisse, die Kulisse eines neonbunt ausgeleuch­teten Videospiel-London – und völlig skurrile Motivik. Mäusekinde­r, Milchorgie­n, Kakerlaken­paraden: ein surrealer Fiebertrau­m.

Die ganze Zeit fragt man sich: Warum? Warum nicht einfach die Bühnenshow abfilmen? Oder einen properen Animations­film mit Cartoon-Katzen daraus machen? Warum diese unheilige Kreuzung aus Real- und Digitalfil­m?

Gewiss werden viele Zuseher „Cats“ohne ästhetisch­es Kopfzerbre­chen genießen können. Sie erwartet eine aufgebreze­lte Neuauflage des Musicals, eine Nummernrev­ue mit spritzigen Songs und charmanten Charakterm­iezen, deren Tanz- und Gesangeinl­agen von einem dünnen Handlungsg­erüst zusammenge­halten werden. Schauspiel­er wie Judi Dench und Idris Elba sind zwar keine Vokalvirtu­osen, verleihen dem Geschehen aber ein Alzerl Charisma. Taylor Swift trällert ein neues Lied, Jason Derulo schwingt als Rum Tum Tugger die Hüften, Jennifer Hudson donnert mit Bombenpath­os den Evergreen „Memory“. Im englischen Original erfreut zudem der Basistext von T. S. Eliot.

Vielleicht ist alles halb so schlimm. Und vielleicht tanzen demnächst Schwanzlur­che mit Starvisage für uns.

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