Die Presse

Premiere im Zeichen des Brexit

Kroatien. Der AdriaStaat übernimmt am 1. Jänner den EU-Ratsvorsit­z. Doch Zagrebs gespanntes Verhältnis zu den Nachbarn erschwert das Debüt.

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Zumindest die Vorschussl­orbeeren der ranghöchst­en Berufseuro­päerin sind dem EUNeuling Kroatien gewiss. Als „wahre europäisch­e Erfolgsges­chichte“preist Kommission­vorsitzend­e Ursula von der Leyen den AdriaStaat. Auch in Zagreb sind angesichts der erstmalige­n Übernahme des Ratsvorsit­zes griffige Floskeln angesagt. Er streite für eine EU, die „geeint und nicht getrennt“auftrete, verkündet der konservati­ve Regierungs­chef Andrej Plenkovic.´

Diplomatis­che Süßholzras­pler haben in ungewissen Zeiten immer Konjunktur. Mit Kroatien hat ausgerechn­et das jüngste Neumitglie­d den erstmalige­n Abschied eines EU-müden Altmitglie­ds unter denkbar schlechten Vorzeichen über die Bühne zu bringen: Im Zeichen des Brexit übernimmt Kroatien am 1. Jänner den Ratsvorsit­z. Gleichzeit­ig überschatt­en nationalis­tische Töne im Präsidents­chaftswahl­kampf und der Dauerstrei­t mit den Nachbarn das Debüt.

Einen ordnungsge­mäßen Ablauf des Brexit, die Vorbereitu­ng des mühsamen Budgetpoke­rs um die EU-Finanzen der kommenden Jahre sowie neue Impulse für den festgefahr­enen Erweiterun­gsprozess auf dem Westbalkan hat sich Zagreb hoffnungsf­roh und ambitionie­rt für das nächste halbe Jahr zum Ziel gesetzt. Deutschlan­d habe 2020 zwei Mal den Ratsvorsit­zenden zu mimen, ätzen hingegen die Skeptiker: Erst für Kroatien und ab dem 1. Juli für sich selbst.

Er wolle ein Europa, das nach außen und nicht nur nach innen blicke, gelobt der frühere Europaabge­ordnete Plenkovic.´ Doch seit Kroatien im Juli 2013 der EU beitrat, scheinen sich die Horizonte in seinem Land paradoxerw­eise eher nationalis­tisch verengt als europäisch geweitet zu haben. „Zentrist“Plenkovic´ hält seine wacklige Koalition zwar stramm auf europäisch­em Mainstream-Kurs und hat zumindest außenpolit­isch eine „Orbanisier­ung“Kroatiens verhindert. Doch um klare Distanzier­ungen von den nationalis­tischen Kräften in oder außerhalb der HDZ drückt er sich gern herum. Denn sowohl bei den Europawahl­en im Mai als auch in der ersten Wahlrunde der Präsidente­nkür haben neue Rechtskonk­urrenten ihm und seiner HDZ kräftig zugesetzt.

Innenpolit­ische Verwerfung­en und die Dauerkrise mit fast allen Nachbarn machen dem Land, das mental noch oft in den Zeiten des Kroatien-Kriegs (1991–95) stehen geblieben zu sein scheint, genauso zu schaffen wie die ausgeblieb­ene Umsetzung gelobter Reformen oder die starke Emigration: Der Exodus junger Fachkräfte ins EUAusland hat die Jugendarbe­itslosigke­it zwar gesenkt, entpuppt sich jedoch als Entwicklun­gshemmnis.

Zu einer der Prioritäte­n seines Ratsvorsit­zes hat Kroatien den Schutz der EU-Grenzen erklärt. Gleichzeit­ig sieht sich Zagreb dem Vorwurf ausgesetzt, ungewollte Transitmig­ranten illegal über die grüne Grenze abzudränge­n.

Auch bei Kroatiens gespanntem Verhältnis zu den Nachbarn klaffen Anspruch und Wirklichke­it weit auseinande­r. Zagreb werde der „Anwalt“der EU-Anwärter sein, hatte die damalige Außenminis­terin Vesna Pusic´ beim Beitritt 2013 gelobt. Tatsächlic­h wird Kroatien im EU-Wartesaal vor allem von Belgrad und Sarajevo eher als Bremser denn als Förderer empfunden. Zwei Mal musste Brüssel Kroatien wegen unzulässig­er Handelssan­ktionen gegen den Ex-Kriegsgegn­er Serbien bereits zurückpfei­fen. Ob beim Seegrenzen­zank mit Slowenien, dem Hickhack mit Ungarn um den INAKonzern oder den Dissonanze­n mit Bosnien um den Bau der Meeresbrüc­ke bei Peljesac:ˇ Auffällig ist das Unvermögen Zagrebs, Streitigke­iten in einer kooperativ­en Atmosphäre beizulegen. Die Rücksicht auf nationalis­tische Empfindlic­hkeiten im Inneren erschwert den Ausgleich mit den Nachbarn.

Als „Höhepunkt“von Kroatiens EU-Integratio­n feiert Premier Plenkovic´ vorab freudig den Ratsvorsit­z. Tatsächlic­h wird die EUPräsiden­tschaft das Land für ein halbes Jahr in das in Zagreb oft vermisste Scheinwerf­erlicht von Europas Öffentlich­keit rücken. Ob das dem EU-Neuling zum Vorteil gereicht, wird sich erst weisen.

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[ AFP ] Gastgeber Europas für ein halbes Jahr: Kroatiens Premier Andrej Plenkovic.´

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