Die Presse

„Diese Ghettos führen zu Problemen“

Interview. Erste-Bank-Vorstand Peter Bosek und Wienerberg­er-Chef Heimo Scheuch sprechen über den gesellscha­ftlichen Auftrag von Unternehme­n und neue Verwerfung­en im Wohnbau.

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Wenn es wie aktuell einen Digitalisi­erungshype gibt, wachsen derartige Unternehme­n sehr stark. Bei uns steht ein stabiles Geschäftsm­odell im Vordergrun­d. Die Frage ist, wie viele es von diesen gehypten Unternehme­n in zehn Jahren gibt, geschweige denn in hundert Jahren.

Wir leben in einer Transforma­tionsphase. Es gibt keine fixen Regeln fürs Erfolgreic­hsein. Zum Unterschie­d von vielen jungen Unternehme­n folgt Erste Bank, aber wohl auch Wienerberg­er einem Unternehme­nszweck.

Bei uns geht es darum, Unternehme­rtum innerhalb eines Unternehme­ns zu fördern. Vielerorts wird das als „Start-up-Mentalität“bezeichnet. Heute hat man ja für jeden Begriff einen neuen erfunden. Um Gottes willen nur nicht „Kundennutz­en“sagen, „Convenienc­e“heißt das. Nachhaltig­es Wirtschaft­en hat dazu geführt, dass wir noch da sind.

Wir erleben eine gesellscha­ftliche Transforma­tion. In Teilen der Bevölkerun­g hat sich Verunsiche­rung breitgemac­ht. Brexit oder Trump passieren nicht aus Zufall. Globalisie­rung und eine massive Urbanisier­ung verändern die Welt. Seit 2008 leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Wir haben einen noch nie dagewesene­n Individual­ismus erreicht. Das Vertrauen in Institutio­nen ist deutlich gesunken.

Genau deshalb ist es für Unternehme­n so wichtig, eine gesellscha­ftliche Relevanz zu haben. Wenn wir keinen Nutzen für die Gesellscha­ft stiften, wird sie uns nicht brauchen.

Unser gesellscha­ftlicher Auftrag ist, die Region, in der wir tätig sind, zu unterstütz­en, Wohlstand zu generieren. Heute sind das im Wesentlich­en zwei große Themen: Leistbares Wohnen – das verbindet uns mit Wienerberg­er. Und die prekären Zinsverhäl­tnisse. Die Sparguthab­en werden immer weniger. Menschen schrittwei­se zu anderen Produktkat­egorien zu führen ist eine große Aufgabe. Die Österreich­er haben 260 Milliarden Euro auf Sparbücher­n liegen, die mit null verzinst sind. sentlichen Beitrag zur Verbesseru­ng der Arbeitnehm­errechte geleistet aufgrund der damaligen Verhältnis­se bei Wienerberg­er. Auch das ist gelebte Geschichte. Natürlich muss man sich auch Themen wie Arisierung­en und Zwangsarbe­iter stellen. All das führte dazu, dass wir eine starke Unternehme­nskultur haben, Respekt ist ein wichtiger Wert in unserem Unternehme­n.

Unser Irrweg gilt für die gesamte Finanzbran­che, die irgendwann den Bezug zur wirtschaft­lichen Realität verloren hat. Die Finanzindu­strie konnte Geld verdienen, ohne dabei einen Kundennutz­en zu erzielen.

Es gibt in Österreich und Europa einen Regulierun­gswahn. Wir reizen das Thema Wärmedämmu­ng aus, obwohl wir mittlerwei­le für die Kühlung der Häuser mehr Geld ausgeben. Wir haben viele Gebäude errichtet, die wir nun zusätzlich kühlen müssen. Hätten wir das vorausgese­hen, hätten wir ganz anders gebaut. Wir verstricke­n uns oft zu sehr in Details, statt mit Hausversta­nd zu arbeiten. Hier gilt es nicht nur die Bauvorschr­iften zu verändern, sondern darüber nachzudenk­en, wie und wo errichtet wird. All diese Wohnbunker, die wieder errichtet werden, machen mir mehr Sorgen als ein Immobilien­boom. Darin steckt soziales Gefahrenpo­tenzial. Diese Ghettos führen langfristi­g nur zu Problemen. In Wien macht man sich viel zu wenig Gedanken über Stadtentwi­cklung. Das rächt sich in den nächsten 30 bis 50 Jahren.

Alle klagen über die extreme Hitze im Sommer in der Stadt. Ich sehe nicht, dass hier schon etwas dagegen getan wird. Mit der entspreche­nden Bewässerun­g und Bepflanzun­g und einer Konzeption von Stadtteile­n lässt sich die Temperatur um drei bis vier Grad Celsius senken. Die Kosten dafür sind nicht gewaltig. Nur getan wird es nicht. Die Skandinavi­er sind da schon viel weiter. Ich denke nur an Kopenhagen. Das ist in Wien leider nicht so.

Ich sehe die Gefahr der Ghettoisie­rung in Wien nicht so dramatisch. Das hat damit zu tun, dass es 220.000 Gemeindewo­hnungen gibt. Das hat lang dazu geführt, dass keine Ghettos entstanden sind.

Das soziale Gefüge dieser Stadt war einst gut durchdacht. Das gute alte Wiener Zinshaus hat dazu geführt, dass Bürgerlich­e, Handwerker und Arbeiter in einem Haus gewohnt haben. Ich warne davor, dass durch den Preisdruck viele Menschen in die Randbereic­he gedrängt werden, wo diese Integratio­n nicht mehr funktionie­rt. Sprachlich nicht, kulturell nicht und auch wertemäßig nicht.

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Heimo Scheuch kritisiere­n die Regulierun­gswut in Österreich und Europa. Das Thema „leistbares Wohnen“werde an politische­r und gesellscha­ftlicher Relevanz und Brisanz gewinnen.
[ Fabry] Erste-BankVorsta­nd Peter Bosek und Wienerberg­er-Chef Heimo Scheuch kritisiere­n die Regulierun­gswut in Österreich und Europa. Das Thema „leistbares Wohnen“werde an politische­r und gesellscha­ftlicher Relevanz und Brisanz gewinnen.

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