Ein Notfall-Paket für Argentinien
Schuldenkrise. Pensionisten, Sparer und Exporteure sollen Staatshaushalt retten.
„Es gibt Grund zu Optimismus.“Der Satz bezieht sich auf Argentiniens anstehende Verhandlungen mit seinen privaten Gläubigern – und stammt von einem prominenten Vertreter dieser Geldgeber. Hans Humes, Gründer und Präsident des US-Investmentfonds Greylock Capital, wird in den kommenden Monaten mit Argentiniens Delegation über eine Umschuldung verhandeln.
Das südamerikanische Land steht mit etwa 322 Milliarden Dollar in der Kreide, davon betreffen etwa 148 Milliarden private Besitzer von Schuldtiteln. Humes hat umfassende Erfahrung mit Schuldenkrisen. An 23 Einigungen war er beteiligt, auch 2005 nach dem argentinischen Staatsbankrott. „Ich bin sehr zufrieden mit den Maßnahmen der neuen Regierung“, sagt er.
Am späten Abend des 20. Dezember akzeptierte der Senat des Landes ein Notfall-Gesetzespaket, in dem sich der neue Präsident Alberto Fernandez´ für ein halbes Jahr umfassende Vollmachten genehmigen ließ, um dem „wirtschaftlichen, sozialen und sanitären Notstand“zu begegnen. Das Land muss versuchen, das Budget auszugleichen, die Inflation zu reduzieren und die erlahmte Produktion wieder anzufahren, ohne auf externe Finanzierungen oder eine positive Weltkonjunktur hoffen zu können. Dem Präsidenten und seinem Finanzminister Mart´ın Guzman´ blieb kein anderer Weg, als die nötigen Finanzmittel durch Steuererhöhungen zu generieren.
Das „Gesetz über soziale Solidarität und produktive Reaktivierung“zielt auf die wenigen noch lukrativen Wirtschaftszweige sowie die besserverdienenden Argentinier. Und auf einen erheblichen Teil der Pensionisten, der, trotz 55 Prozent
Inflation, ein halbes Jahr ohne Erhöhung der sehr bescheidenen Bezüge wird auskommen müssen. „Unproduktives“Sparvermögen soll belastet werden, während Gelder, die Arme und Mindestrentner zusätzlich bekommen, unmittelbar in den Konsum fließen und Produktion wie Steuerleistung ankurbeln sollen. Zusätzliche Steuereinnahmen sollen eine Reform des gescheiterten Rentensystems ermöglichen sowie Mittel für Mikrokredite und öffentliche Baumaßnahmen freimachen. Zudem wollen Guzman´ und Fernandez´ die Abflüsse von Devisen stoppen. Denn das Land benötigt harte Währung, um Grundstoffe für die Industrie zu importieren. Und es braucht Dollar für den Schuldendienst.
Zu den wichtigsten Maßnahmen des Gesetzes zählt ein Moratorium für die Tarife für Wasser, Strom, Gas und Verkehr. Dieses soll 180 Tage gelten, ebenso wie die Aussetzung der geltenden Rentenformel. Bislang werden die Altersbezüge automatisch leicht über dem Inflationsniveau angepasst. Diese Formel hat die Vorgängerregierung erlassen, mit der Perspektive einer sinkenden Inflation. Weil die Teuerung stattdessen massiv zunahm, sei eine Rentenanpassung nach dem bisherigen Schema „unbezahlbar“, erklärte Minister Guzman.´ Nun sollen die Mindestrentner im Dezember und Jänner zwei Sonderzuteilungen von jeweils etwa 60 Euro bekommen, die anderen Altersbezüge will man für ein halbes Jahr nicht anpassen.
Agrarausfuhren werden mit erhöhten Abgaben belastet. Soja-Exporteure sollen 33 Prozent abführen, für Weizen und Mais werden jeweils 15 Prozent berechnet, auch für Fleisch und Milchprodukte wird es Exportzölle geben. Exporteure hatten massiv von drei Abwertungen profitiert. Seit April 2018 hat der Peso zwei Drittel seines Werts verloren.
Sparanlagen in Pesos werden steuerlich bevorzugt, während der Devisenkauf für Sparzwecke mit 30 Prozent Steueraufschlag belegt wird, ebenso wie Umsätze und Kreditkartenzahlungen im Ausland. Zudem soll die Vermögenssteuer von 0,5 auf 1,5 Prozent erhöht werden. Werte im Ausland sollen doppelt so hoch besteuert werden. Argentinien hat nun das höchste Steuerniveau ganz Amerikas und liegt auch im weltweiten Spitzenfeld. Im Gegenzug will man einkommensschwache Schichten von der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel befreien, Mikrokredite verteilen, Arzneikosten senken und eine Steueramnestie für Kleinund Mittelbetriebe umsetzen.
Durch den Notfallplan könnten die argentinischen Budgeteinnahmen 2020 um mindestens ein Prozent zulegen, das Geldhaus Banco Galicia beziffert die mögliche Zunahme gar mit 2,2 Prozent. Das dürfte sich sehr positiv auf die Verhandlungen mit privaten Gläubigern auswirken, glauben viele Marktteilnehmer. Die Anleihenkurse stiegen kräftig an. Hans Humes von Greylock Capital hält eine Einigung mit den Gläubigern binnen weniger Monate für gut möglich. Und die Zeit drängt: Im März werden Titel für 15 Milliarden Dollar fällig, und das Land kann diese Mittel nicht aufbringen. Die aktuellen Verhandlungsbedingungen seien jedoch wesentlich positiver als jene nach dem Staatsbankrott 2001, meint Humes. Zumal auch die Finanzmärkte ein erhebliches Interesse an einer Einigung haben müssen, denn es gibt zur Zeit nur wenige Länder, die sieben Prozent Zinsen zahlen.
Beim Internationalen Währungsfonds dürfte zudem niemandem daran gelegen sein, dass das größte Kreditpaket aller Zeiten platzt. Im Wahljahr 2020 wird sich US-Präsident Donald Trump nicht gern die Verantwortung für den größten Missgriff in der Geschichte des Fonds umhängen wollen. Die Argentinier könnten wieder einmal irgendwie davonkommen.