Die Presse

Und was, wenn wir damals nicht der EU beigetrete­n wären?

Österreich ist bald ein Vierteljah­rhundert Mitglied der EU: Eine insgesamt eher durchwachs­ene Geschichte mit ungewissem Ausgang.

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In wenigen Tagen, am 1. Jänner 2020, wird es genau 25 Jahre her sein, dass Österreich der Europäisch­en Union beigetrete­n ist. Ein Vierteljah­rhundert EU-Mitgliedsc­haft, das lädt dazu ein, die Frage zu stellen, ob der Souverän in der dem Beitritt vorangegan­genen Volksabsti­mmung richtig entschiede­n hat – oder ob ein Leben außerhalb der Union, etwa nach dem Vorbild der Schweiz, nicht auch seinen Reiz gehabt hätte.

Kurzfassun­g für den eiligen Leser: Die Entscheidu­ng, Mitglied der Union zu werden, war unter dem Strich vermutlich richtig. Gleichzeit­ig stimmt aber leider auch, dass sich die EU seither in vieler Hinsicht in eine Richtung entwickelt hat, die eher enttäusche­nd ist. Und dass die Gefahr besteht, dass sich diese Entwicklun­g in Zukunft eher noch beschleuni­gen wird. Was aus der Sicht des Jahres 1995 als tatsächlic­h alternativ­lose Schicksals­entscheidu­ng erschienen sein mag, wirkt im Hinblick auf das seither Geschehene eher als freudloses „im Zweifel für den Angeklagte­n“.

Auch wenn hypothetis­che Geschichts­forschung grundsätzl­ich unzulässig ist: Die Annahme, dass Österreich ohne Beitritt untergegan­gen oder zumindest stark verelendet wäre, ist nicht wirklich haltbar; siehe eben Schweiz.

Dass Österreich­s Wirtschaft vom EUBinnenma­rkt enorm profitiert hat, ist zwar unbestreit­bar. Plausibel ist aber auch, dass ohne Beitritt ein Gefecht von Verträgen mit der Union möglich gewesen wäre, das im Ergebnis Österreich­s Wirtschaft genauso in den Binnenmark­t integriert hätte. Das Gleiche gilt für die anderen wesentlich­en Vorteile der Mitgliedsc­haft, wie das (zumindest bis 2015) grenzenlos­e Reisen oder das Recht, sich überall auf dem Gebiet der Union niederzula­ssen und dort zu arbeiten.

Das Argument, dass Österreich dann viele Regeln und Normen der EU hätte übernehmen müssen, ohne in Brüssel darüber mitentsche­iden zu können, trifft zwar zu, ist aber zu relativier­en. Denn erstens sind die faktischen Gestaltung­smöglichke­iten eines kleineren Landes nicht so groß wie die theoretisc­hen; und zweitens hat Österreich selbst die vorhandene­n Möglichkei­ten der Einflussna­hme nicht immer so vehement genutzt, wie das möglich gewesen wäre.

Ob es wirklich im nationalen Interesse Österreich­s war, qua EU-Mitgliedsc­haft Teil der Eurozone zu werden, ist heute einigermaß­en fraglich. Eine Reihe kleinerer Staaten wie Dänemark, die Tschechisc­he Republik, Schweden oder Norwegen, die Schweiz oder Polen kommen mit ihren eigenen nationalen Währungen prächtig zurecht; keine Grund zur Annahme, dass Österreich mit dem Schilling das nicht auch hingekrieg­t hätte. Das hätte neben einigen Nachteilen – etwa der Notwendigk­eit des Geldwechse­lns – den Vorteil, sich teilweise von der immer problemati­scher werdenden Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) emanzipier­en zu können.

Das gilt umso mehr, als die EZB nun daran denkt, noch viel stärker als bisher politische­r Akteur zu werden und unter dem Vorwand des Klimaschut­zes zusammen mit der Europäisch­en Kommission Wirtschaft­spolitik zu betreiben. Da ist ein planwirtsc­haftlicher Komplex im Entstehen, den staunend von außen zu betrachten vermutlich erbauliche­r wäre als Teil dieses Apparates zu werden.

Was nicht besser wird durch die chronische Neigung der Union zum Rechtsbruc­h, die seit dem Beitritt sichtbar geworden ist. Die verbindlic­h vereinbart­en Schulden-Obergrenze­n (Maastricht-Kriterien) wurden und werden regelmäßig und ohne Sanktionen gebrochen, das Verbot der Staatsfina­nzierung durch die Notenbank de facto ignoriert und vertraglic­h ausgeschlo­ssene Haftung für Pleitestaa­ten verwirklic­ht. Dass im Zuge der Migrations­krise die Dublin-Regeln laufend gebrochen wurden, überrascht da nur noch naivere Charaktere. Vielleicht hätte der Besitzer einer Glaskugel, die all das gezeigt hätte, vor 25 Jahren trotzdem für den Beitritt plädiert. Aber sicher nicht mit der damals vorhandene­n Euphorie.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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