Ein Angebot, das Boris Johnson nicht ablehnen kann
Aus Sicht der EU. Für die Europäer sitzen alte Brexit-Hasen, Michel Barnier und Sabine Weyand, am Verhandlungstisch. Sie haben zwei Ziele: entweder eine möglichst enge Anbindung Großbritanniens an den Binnenmarkt – oder ein schmaler Pakt nach dem Vorbild
Infografiken sorgen selten für Schlagzeilen. Mit dem Treppenbild von Michel Barnier verhält es sich anders: Seit der Chefverhandler der Europäischen Kommission Ende 2017 die Optionen der künftigen Beziehung zur EU, die Großbritannien nach dem Brexit zur Verfügung stehen, in Form einer Treppe dargestellt hat, geistert die Grafik in schöner Regelmäßigkeit durch die britischen Medien. Im kommenden Jahr wird Barniers Brexit-Menü wieder öfter zu sehen sein, denn nach dem 31. Jänner 2020 werden sich die Briten und die Europäer erstmals als Ex-Partner gegenübersitzen und über ihre gemeinsame (wirtschaftliche) Zukunft verhandeln.
Das grafische Schema zeigt nicht nur die Varianten der künftigen Anbindung der Briten an den europäischen Binnenmarkt, es veranschaulicht auch die Herangehensweise der Europäer: Nachvollziehbar, transparent, logisch schlüssig und rechtlich wasserdicht – so hat die Brüsseler Behörde, die im Namen der EU-27 mit den Briten verhandelt hat, die Gespräche von Anfang an strukturiert. Der Rahmen der Gespräche, der durch Artikel 50 des EU-Vertrags vorgegeben ist, spielte den Europäern in die Hände. Die Verhandlungen über den Austrittsvertrag begannen erst, nachdem London das Austrittsverfahren eingeleitet hatte – doch aufgrund der zweijährigen Austrittsfrist waren die Briten stärker unter Zugzwang als die Europäer (siehe oben). Denn ein nicht einvernehmlicher Brexit würde die britische Wirtschaft deutlich stärker in Mitleidenschaft ziehen, da knapp die Hälfte der britischen Ausfuhren an die EU adressiert ist.
Diese Dynamik dürfte sich bei den Verhandlungen nach dem Brexit wiederholen – und dafür trägt Premierminister Boris Johnson die Mitverantwortung. Denn Johnsons Weigerung, einer Verlängerung der am 31. Dezember 2020 auslaufenden Post-BrexitÜbergangsfrist zuzustimmen, ist Wasser auf die Mühlen der europäischen Verhandler. Sofern die britische Regierung der Wirtschaft ihres Landes ein böses Erwachen am Neujahrsmorgen 2021 ersparen will, wird ihr nichts anderes übrig bleiben, als das Handelsangebot der Europäer anzunehmen.
Wer für die Briten am Verhandlungstisch sitzen wird, ist noch nicht klar. Das Team der EU ist hingegen fix – und setzt sich aus alten Bekannten zusammen. Der bisherige BrexitBeauftragte Barnier bleibt am Ball, seine rechte Hand, Sabine Weyand, ist in der Zwischenzeit zur Generaldirektorin der Handelsabteilung in der Kommission avanciert und bleibt als oberste Beamtin der Brüsseler Behörde in die Verhandlungen involviert.
Welches Ziel haben sich die Europäer in den Verhandlungen mit London gesetzt? Eine möglichst enge wirtschaftliche Anbindung Großbritanniens an die EU. Was allerdings nur gelingen kann, wenn die Briten dazu bereit sind, sich den Urteilen des EuGH zu unterwerfen und sich an alle relevanten Spielregeln der Union zu halten – etwa an Umwelt- und Sozialstandards sowie Regeln für staatliche Subventionen. Das Problem ist nur, dass sich Johnson diesen Vorgaben bis dato nicht beugen will.
Bleibt es dabei, hat Großbritannien lediglich Aussicht auf ein konventionelles Abkommen nach dem Vorbild des Pakts EU – Kanada. Für die Europäer, die im Warenhandel mit Großbritannien einen Überschuss haben, wäre das die zweitbeste Lösung. Ihre Exporte nach Großbritannien wären nicht in Mitleidenschaft gezogen, weil im Rahmen des Abkommens Zollfreiheit garantiert wäre. Anders die Briten, die vor allem Dienstleistungen nach Europa verkaufen: Sie kämen bei der Kanada-Variante unter die Räder, denn der Handel mit Dienstleistungen ist an die EU-Personenfreizügigkeit gebunden – die die Briten nicht akzeptieren wollen.
Warum sollte Johnson einem Abkommen zustimmen, das für die EU vorteilhafter ist als für Großbritannien? Mangels Alternativen, befürchtet Ivan Rogers, der ehemalige EU-Botschafter Großbritanniens. Vor die Wahl zwischen einem harten Bruch der Handelsbeziehungen und einem suboptimalen Abkommen gestellt, würde Johnson die zweite Variante wählen – und versuchen, sie daheim als Verhandlungserfolg darzustellen.
Klar ist jedenfalls eines: Nach dem Brexit werden die Gespräche in Brüssel nicht einfacher. Denn die Unionsmitglieder haben in Bezug auf Großbritannien klare Partikularinteressen. Einen Vorgeschmack auf die Verhandlungsdynamik lieferte Dänemarks Premierministerin, Mette Frederiksen, beim EU-Gipfel am 13. Dezember, die den fortgesetzten Zugang zu britischen Gewässern für dänische Fischer ins Spiel brachte.
Ihre Stimme hat Gewicht. Bei einem schmalen Abkommen müssen nur die EUInstitutionen (Rat und Europaparlament) zustimmen. Ambitioniertere Arrangements erfordern die Zustimmung aller Unionsmitglieder. Und diese dürften im Lauf des kommenden Jahres lauter werden als bei den bisherigen Brexit-Verhandlungen. (la)